Martins Vermächtnis

Martins Vermächtnis - Was soll das eigentlich sein?


Ich bin Mama von drei unglaublichen Kindern, Jozefina, Miroslav (oder Miro, wie ihn die meisten nennen) und Martin. Unsere Zwillingsjungs haben Autismus und unsere Jozefina ist die fürsorglichste Schwester die ich kenne, ein Mädchen, dass wir Eltern immer daran erinnern müssen, dass sie selbst ein Kind ist und auch sein darf. Jeder der drei ist auf seine Weise einzigartig. 

Martin ist mein Mini-me. Ungeduldig, zornig, wenn er nicht verstanden wird und doch ein riesen Herz. Sein wunderbares, Wärme schenkendes Herz hat am 20.2.2023 aufgehört zu schlagen. Ohne Vorwarnung wurde unser Martin aus dem Leben gerissen. Ertrunken in einem Biotop, bei einem Kindergarten-Ausflug. Als ich den Anruf bekam und anfing nach meinem Baby zu suchen, war er mit hoher Wahrscheinlichkeit schon tot. Als mein Kind die größte Angst seines Lebens durchstehen musste, war ich nicht an seiner Seite. Das erste und einzige Mal, dass er ohne mich, alleine Kämpfen musste. Dieser Gedanke zerreißt mich und schnürt mir die Luft ab. Mein Kind, tot, neben dem Wasser mit offenen, leeren Augen, die Brust die sich nicht mehr Hebt und senkt, dieses Bild hat sich für immer in meine Seele gegraben und hat mein Leben wie es vorher war, für immer beendet. 

Ich bin mir sicher, dass ich ihn eines Tages wieder in eine liebevolle Umarmung ziehen darf und dass er trotz allem in irgendeiner Form an unserer Seite ist. Und doch ist der Schmerz unvergleichbar, unerträglich und so schneidend, dass ich oft nicht weiß, wie ich auch nur einen einzigen Schritt gehen soll. 
Doch ich habe keine Wahl, ich habe hier bei mir noch zwei unglaubliche Kinder, die mich jetzt mehr denn je brauchen, zwei Kinder die selbst im Schlaf um ihren geliebten Bruder weinen. Liebe Mama, du hast keine Zeit in ein Loch zu fallen oder dich zu verkriechen. Egal wie sehr der Schmerz um dein geliebtes Kind dich verbrennt, du gehst weiter, Schritt für Schritt, egal wie sehr das Herz dabei blutet.

Diejenigen von euch die dem Begräbnis beigewohnt haben, erinnern  sich sicher auch, daran was ich meinem Martin während der Trauerrede versprochen habe. Ich habe ihm Versprochen unseren Kampf fortzusetzen, solange ich atme.

Unser Kampf für Akzeptanz und Verständnis von Autismus hat mit meinen Kindern begonnen. Gerade Martin ist in der Gesellschaft stark aufgefallen. Und sein großer Gerechtigkeitssinn und der Wunsch nach Teilhabe in der Gesellschaft war unvergleichbar. 

Ich werde darum kämpfen, dass andere Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene im Spektrum diese Möglichkeit bekommen. 
Ich werde darum kämpfen, dass sie ein Leben führen dürfen, in dem sie als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft gesehen werden. 
Ich werde dafür kämpfen, dass sie die notwendigen Therapien bekommen, dafür dass die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Fast zeitgleich mit unserem kleinen Prinzen Martin, der beim Kiga-Ausflug weggelaufen und ertrunken ist, ist in Hamburg ein 10-jähriger Autist aus der Sonderschule weggelaufen und ebenfalls ertrunken. 
Im Austausch mit anderen Eltern deren Kinder ASS haben, wurde mir bewusst wie viele ihrer Kinder schon aus Kiga, Schule, etc weggelaufen sind. Ein Punkt der den wenigsten bewusst ist. Es kann und darf nicht sein, dass so etwas immer und immer wieder passiert. Denn jeder einzelne dieser Fälle hätte so enden können wie unserer. Sei es im Wasser, auf der Straße oder bei einem Sturz.
Niemand soll diesen unerträglichen Schmerz mehr fühlen müssen. 

In jedem Bereich unseres Systems sind Autisten unterversorgt und ich Frage mich, wie es sein kann, dass für so viele Menschen nichts getan wird. 
Dabei wäre es so einfach. 
Ich habe mich diesem Weg verschrieben, es meinem Sohn versprochen und diejenigen unter euch die mich kennen, wissen auch, dass ich niemals aufhören werde zu kämpfen, niemals aufgeben werde, schon gar nicht, wenn es um meine Kinder geht. Denn meine Kinder sind mein Leben.

Ich bin Mama von drei Kindern und werde es auch für immer sein, auch wenn mein Martin auf der anderen Seite des Regenbogens ist, ist er doch immer in meinem Herzen und meinen Gedanken. 

Mein kleiner Prinz ich liebe dich bis ans Ende meiner Tage und weit darüber hinaus. Denn diese Liebe endet niemals. Und ich verspreche dir, dein Vermächtnis aufzubauen, denn dein Tod wird das Sinnbild sein, für etwas das nie wieder geschehen darf und soll der Anfang sein, für eine bessere Welt. 
Ich liebe dich kleiner Hase.

Unser Leben mit Autismus

Was ist eigentlich Autismus? 


Uns erreichen in letzter Zeit immer wieder Fragen zum Thema Autismus, vor allem aber was das eigentlich wirklich genau ist. Bis hin zu der Frage ob unser kleiner Martin an seinem Autismus verstorben ist. 


Deshalb habe ich beschlossen, eine sehr komprimierte aber hoffentlich für alle, verständliche Erklärung niederzuschreiben.


Eine Autismusspektrum-Störung, kurz ASS genannt, gilt als tiefgreifende Entwicklungsstörung. Dabei können mehrere Lebensbereiche betroffen sein. Etwa die soziale Interaktion, die Motorik, das Sprachverständnis, oder intellektuelle Fähigkeiten, etc.

Viele Menschen sehen, wenn sie an einen Autisten denken, einen schrulligen Eigenbrötler, der mit niemandem klar kommt, aber in irgendeinem Gebiet ein Genie ist (meistens gehen die Leute von IT, Mathematik oder Physik aus).


Tatsächlich sind diese Spezialgebiet-Genies, Savants genannt, gar nicht so häufig. Wäre dies nämlich tatsächlich so, könnte man wohl mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit sagen, dass die meisten Probleme unserer Welt bereits gelöst wären. 

Denn rund 2% der Bevölkerung ist von einer ASS betroffen. (Also 1 von 50, das ist nicht wenig.) 

Man möge sich ausrechnen, wie viele geniale autistische Wissenschaftler, diesem Denken nach auf unserem Planeten wandeln. 


Tatsache ist, diese Savants sind gar nicht so häufig. 

Was bedeutet dieses Bild aber nun für Familien?

Abgesehen davon, dass unsere autistischen Kinder ohnehin schon sehr genau beäugt und für ihr Verhalten kritisiert werden, steigt damit auch der Druck. "Denn wenn sich das Kind schon so merkwürdig verhält, dann soll es doch bitte auch ein Genie sein, am besten schon mit 6 Jahren." 

Nun ist es aber so, dass diese Vorstellung absolut nicht der Realität entspricht und manchmal habe ich das Gefühl, dass Eltern ihre Kinder im Spektrum, dann sogar ganz unbewusst verstecken, aus Schutz dem Kind gegenüber und aus Selbstschutz. Leider führt dies zu noch mehr Unwissen innerhalb der Gesellschaft.


Aber was nun bedeutet Autismus? 

Am einfachsten lässt es sich erklären, mit einer Datenverarbeitungsstörung. Das Hirn eines Autisten nimmt viel mehr Daten auf einmal auf als unseres, wenn ich es jetzt richtig im Kopf habe, mindestens zweieinhalb Mal soviele Daten auf einmal. Allerdings fehlen zur Verarbeitung die notwendigen Filter. 

Ich unterhalte mich mit jemandem, nebenbei Zwitschern die Vögel, ein Auto fährt vorbei, irgendwo in weiter Ferne hört man das Piepsen eines LKWs. Ich folge dem Gespräch und nehme die anderen Geräusche, wenn dann nur am Rande wahr.


Mein Sohn hingegen hört alle diese Dinge und noch viel mehr auf einmal, allerdings filtert hier das Gehirn nicht richtig, was davon relavant ist. Somit strömen all diese Geräusche auf einmal auf ihn ein. So verhält es sich auch mit den anderen Sinnesorganen. Allein die Vorstellung daran, fällt mir persönlich schwer, macht mich nervös und laugt aus.

Man versteh also, dass Menschen im Spektrum eine ganz andere Wahrnehmung haben.


Im Zuge dieser Überreizung kann es dann leicht zu einem Meltdown kommen. (Ein Meltdown ist meist das was die Gesellschaft als nicht erzogenes, furchtbares Benehmen wahrnimmt.) Vor allem dann, wenn noch nicht die richtigen Strategien zur Regulierung entwickelt sind. 

Man kann es vielleicht veranschaulichen, mit einem Topf Wasser am Herd: 

Ich fülle Wasser in einen Topf, gebe einen Deckel drauf und  schalte den Herd auf die höchste Stufe. 

Das Wasser wird beginnen zu kochen, irgendwann pfeift der aufsteigende Dampf zwischen Topf und Deckel durch. Wenn ich jetzt nicht weiß, dass ich den Deckel abnehmen muss, und den Herd zurückdrehen, dann wird der Inhalt überlaufen. Auch wenn ich es weiß und zu langsam reagiere, ist das Ergebnis das Gleiche.


Und hier muss man ganz klar machen:

Jeder Autist ist anders, ebenso wie die  Regulations-Strategien die der oder die Betroffenene braucht. 

Autismus ist nicht heilbar, es ist ja auch keine Krankheit.

Wenn eine ASS aber früh erkannt wird, Kann man eigentlich sehr gut fördern und unterstützen und natürlich auch die richtigen Regulations-Strategien erlernen. 

Es ist nicht leicht, aber definitiv nicht unmöglich. Dafür braucht es aber vor allem: Verständnis,  Akzeptanz und Integration und natürlich ganz viel Liebe und Geduld.

Von der Familie, vom Umfeld, von Kindergärten und Schulen und der Gesellschaft. 

Dies wird allerdings nur mit viel Aufklärungsarbeit möglich sein. 

Denn wie wir sehen, wissen wir viel zu wenig und glauben doch alles zu wissen.


Was bedeutet Autismus für unsere Familie? Teil17

Nachdem dann der große Martin endlich wieder von seiner Schulung nach Hause kam, stellte sich langsam wieder unser „normaler“ Alltag ein. Nach seiner Ankunft waren die ersten beiden Tage zwar wieder ziemlich anstrengend, aber auch diese gingen vorbei und im Endeffekt war das ja bereits ein altbekanntes Spiel für uns. Bei jeder Veränderung des Alltags und unserer Struktur tat sich für unsere beiden Buben ein Kampf auf – und somit auch für den Rest der Familie. Veränderungen waren für die Beiden, nach wie vor, schwer zu verkraften und stellten somit unsere Routinen auf den Kopf.
Und auch, wenn ich mich zumindest wieder drei Schritte von meinem kleinen Martin entfernen durfte, so musste ich doch immer in seiner Nähe sein. Erstens weil ich sein Blickfeld nicht verlassen durfte und zweitens, weil er zu diesem Zeitpunkt wieder eine sehr verhaltenskreative Phase hatte. Am glücklichsten war er, wenn ich in meiner Hektik irgendwo einen Stift liegen ließ, wie auch an diesem Tag. Innerhalb von Sekunden malte er ein riesiges Kunstwerk an die Wand. Also hopp, den Schmutzradierer holen und die Wände wieder sauber machen. Rückblickend, bin ich mir nicht sicher, ob er mehr Freude daran hatte, die Wände zu bemalen, oder aber sauber zu machen. Miro und Martin gefielen die Muster so unendlich gut, die durch das Abwischen mit dem Zauberschwamm an der Wand erschienen – die verwischten Farben und die farbigen Wasserschlieren, wenn sie mit dem zu nassen Schmutzradierer über die Wände wischten. Während ich also nach dem trockenen Tuch griff um die Wand abzuwischen und ihren Wasserschlieren Einhalt zu gebieten, sah ich schon aus dem Augenwinkel, wie Martin die große Wasserschüssel anhob. Noch während ich „Martin STOPP“ rief, strahlte er mich mit funkelnden Augen an, nur um im gleichen Moment den Wasserbehälter auszuleeren. Beide Jungs quietschten vor Freude und Begeisterung während sie in der großen Wasserpfütze mitten im Wohnzimmer mit unglaublicher Lebensfreude hüpften und dabei den umliegenden Bereich ebenso unter Wasser setzten. Innerlich verfluchte ich mich selbst, dass ich die Wasserschüssel kurz abgesetzt hatte. Eigentlich sollten mir solche Dinge nicht mehr passieren. Während ich also Martin unter starker Gegenwehr schnappte und ins danebenliegende Kinderzimmer brachte, bemühte sich Miro in der Zwischenzeit darum, die Wasserpfütze auf das Sofa zu bekommen. Also schnell die griffbereit liegenden Handtücher geschnappt und während ich Miro auf den Arm nahm noch schnell die Tücher auf die Wasserlacke – die mittlerweile mehr wirkte wie ein kleiner Teich im Haus – geworfen. Ich zog ganz schnell unsere Jungs um und zog das Treppenschutzgitter zwischen Kinderzimmer und Wohnbereich hinter mir um schnell den Boden wischen zu können, ohne dass Miro und Martin wieder in ihrer selbstgemachten Wasserpfütze hüpfen könnten. Während ich also schnell versuchte alles trocken zu bekommen, hörte ich im Hintergrund wie Miro mit dem Kopf rhythmisch gegen den Kleiderschrank schlug und Martin gleichzeitig „Wir wünschen euch Frohe Weihnacht‘“ sang. Da ich hören konnte, dass Miros Kopf klopfen, sanfter Natur war, wischte ich schnell fertig. Wäre zu dem Zeitpunkt jemand einfach zur Haustüre reingekommen, hätte er sich wohl gedacht, in einer Irrenanstalt gelandet zu sein. Wir gaben aber zugegebenermaßen auch ein merkwürdiges Bild ab. Als ich die Handtücher ins Badezimmer brachte um sie aufzuhängen, hörte ich schon an Martins Gesang, dass ihn irgendetwas nervös machte und gleichzeitig, dass sich Miro Klopfen verändert hatte, also ließ ich Tücher Tücher sein und rannte schnell ins Zimmer zu ihnen. Und das gerade noch rechtzeitig, denn Martin hatte Miro bereits am Shirt-Rücken gepackt und zog ihn wütend in Richtung Zimmermitte. Durch das verrutschte Leibchen am Hals, bekam Miro nun schwer Luft. Als ich Martins Hand von ihm löste, kuschelte sich Miro schnell bei mir ein, während Martin nun krampfhaft versuchte, mich nicht zu schlagen. Man sah ihm in solchen Momenten, die Verzweiflung und den inneren Kampf richtiggehend, an. Alles in ihm schrie danach auf jemanden einschlagen zu wollen, während er selbst versuchte sich davon abzuhalten, da er niemanden verletzen wollte. Diesen Kampf gegen sich selbst verlor er allerdings, als mich seine kleine Faust ziemlich schmerzhaft, zweimal hintereinander in die Seite traf. Nur um dann ganz verzweifelt zu schreien. Als er schließlich nicht mehr um sich schlug, konnte ich ihn immerhin auch in meine Umarmung ziehen, auch wenn ich darauf achten musste, dass sich Miro und Martin dabei nicht zu nahe kamen. Zum Glück kam in diesem Moment der große Martin zusammen mit Jozefina, vom Einkaufen zurück. Nachdem ich meine kleine Jozefina begrüßt und ihr einen dicken Kuss gegeben hatte, nahm mein Mann gleich Miro auf den Arm, um mich zu unterstützen. Es brauchte keine Erklärungen mehr zwischen uns. Außerdem muss ich wohl ziemlich verzweifelt gewirkt haben in diesem Moment. Gemeinsam zählten wir bis 20 und zurück – zuerst auf Deutsch, dann Englisch, Kroatisch, Spanisch und dann wieder auf Deutsch. Und ganz langsam legte sich die Situation wieder. Es dauerte etwas, bis ich schließlich herausfand was der Auslöser war. Miro wollte mit Martin mitsingen und sang aber in einem Rhythmus als dieser – und das war etwas was für den kleinen Martin extrem schwer auszuhalten war. Generell war die Frustrationstoleranz bezogen auf den Zwillingsbruder, noch geringer als sie es ohnehin schon im Alltag war.
Nachdem nun das Chaos beseitigt und wieder Ruhe eingekehrt war, wollten die Kinder unbedingt mit dem Basteln der Weihnachtsdeko beginnen – und ganz ehrlich, ich war richtig erleichtert. Denn das bedeutete, dass sie zumindest für 15 Minuten am Tisch sitzen würden und das eine kurze Verschnaufpause für mich bedeutete. Während ich also schnell die Tischunterlage und die Weihnachtsbilder holte, hielt mein Mann im Wohnzimmer die Stellung mit den Kindern. Er startete die Weihnachtsmusik und tanzte mit ihnen, immer darauf bedacht, alles im Blick zu haben, damit es nicht zu weiteren Eskalationen kommen konnte.
So saßen wir also Anfang Oktober beisammen am Tisch, während wir alle zusammen  Weihnachtsanhänger bemalten und Weihnachtslieder sangen.
Das mag für einige sehr verfrüht wirken, aber die Kinder, vor allem unser kleiner Martin, hatten wohl den „Weihnachts-Wahnsinn“ (so nannte es mein Mann immer) von mir geerbt. Wir liebten die gerade die Vorweihnachtszeit, die sanften Lichter, die Lieder und das Gefühl von Weihnachten. Somit dauerte bei uns die Weihnachtszeit wohl deutlich länger als bei den meisten anderen Familien. Tatsächlich schien dies alles auch unsere Jungs zu beruhigen und hatte somit auch einen großen positiven Effekt für den Rest von uns. Auch wenn uns unsere Freunde gerne ein bisschen auf den Arm nahmen, wegen unseres „Weihnachtswahnsinns“ lebten wir in dieser Zeit immer richtig auf, vor allem da Miro und Martin in dieser Zeit, häufiger mit uns kuscheln wollten und für uns Eltern, war das Balsam für unsere Seelen.
Vor dem Schlafengehen bat Jozefina darum, dass wir wieder gemeinsam Turnübungen machen sollten im Kinderzimmer. Während der große Martin beschloss, lieber aus sicherer Entfernung zuzusehen, machten wir unsere Übungen. Jozefina liebte das, vor allem auch, wenn sie dann die Übungen vorzeigen durfte. Miro und Martin hatten auch Spaß daran und für sie war das eine ganz tolle Imitationsübung, auch wenn diese nicht wie geplant gelang. Abschließend und da sich der Papa den Turnübungen entzogen hatte, durfte er als Pferd herhalten, während die Kinder geeint auf seinem Rücken durch das Haus galoppierten.
Trotz dieser etwas überfordernden Situation am späten Nachmittag, (der ich definitiv hätte vorbeugen können), war es doch ein wunderschöner Tag mit den Kids. Und dennoch war ich dann wahnsinnig erleichtert, als schließlich alle drei Kinder ruhig atmend einschliefen, während der große Martin und ich uns noch für eine halbe Stunde plaudernd, gemeinsam aufs Sofa setzten.
Auch wenn mir zusätzlicher Schlaf sicher gutgetan hätte, war diese ruhige Zeit abends essenziell für unsere Ehe. Denn ansonsten blieb uns keine Zeit um Gespräche zu führen, die nicht nur knappe Anweisungen oder Erklärungen waren. Diese Zeit, die wir uns bewusst nahmen, schweißte uns als Team, als Paar und als Freunde zusammen.

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Was bedeutet Autismus für unsere Familie? Teil17

Nachdem dann der große Martin endlich wieder von seiner Schulung nach Hause kam, stellte sich langsam wieder unser „normaler“ Alltag ein. Nach seiner Ankunft waren die ersten beiden Tage zwar wieder ziemlich anstrengend, aber auch diese gingen vorbei und im Endeffekt war das ja bereits ein altbekanntes Spiel für uns. Bei jeder Veränderung des Alltags und unserer Struktur tat sich für unsere beiden Buben ein Kampf auf – und somit auch für den Rest der Familie. Veränderungen waren für die Beiden, nach wie vor, schwer zu verkraften und stellten somit unsere Routinen auf den Kopf.
Und auch, wenn ich mich zumindest wieder drei Schritte von meinem kleinen Martin entfernen durfte, so musste ich doch immer in seiner Nähe sein. Erstens weil ich sein Blickfeld nicht verlassen durfte und zweitens, weil er zu diesem Zeitpunkt wieder eine sehr verhaltenskreative Phase hatte. Am glücklichsten war er, wenn ich in meiner Hektik irgendwo einen Stift liegen ließ, wie auch an diesem Tag. Innerhalb von Sekunden malte er ein riesiges Kunstwerk an die Wand. Also hopp, den Schmutzradierer holen und die Wände wieder sauber machen. Rückblickend, bin ich mir nicht sicher, ob er mehr Freude daran hatte, die Wände zu bemalen, oder aber sauber zu machen. Miro und Martin gefielen die Muster so unendlich gut, die durch das Abwischen mit dem Zauberschwamm an der Wand erschienen – die verwischten Farben und die farbigen Wasserschlieren, wenn sie mit dem zu nassen Schmutzradierer über die Wände wischten. Während ich also nach dem trockenen Tuch griff um die Wand abzuwischen und ihren Wasserschlieren Einhalt zu gebieten, sah ich schon aus dem Augenwinkel, wie Martin die große Wasserschüssel anhob. Noch während ich „Martin STOPP“ rief, strahlte er mich mit funkelnden Augen an, nur um im gleichen Moment den Wasserbehälter auszuleeren. Beide Jungs quietschten vor Freude und Begeisterung während sie in der großen Wasserpfütze mitten im Wohnzimmer mit unglaublicher Lebensfreude hüpften und dabei den umliegenden Bereich ebenso unter Wasser setzten. Innerlich verfluchte ich mich selbst, dass ich die Wasserschüssel kurz abgesetzt hatte. Eigentlich sollten mir solche Dinge nicht mehr passieren. Während ich also Martin unter starker Gegenwehr schnappte und ins danebenliegende Kinderzimmer brachte, bemühte sich Miro in der Zwischenzeit darum, die Wasserpfütze auf das Sofa zu bekommen. Also schnell die griffbereit liegenden Handtücher geschnappt und während ich Miro auf den Arm nahm noch schnell die Tücher auf die Wasserlacke – die mittlerweile mehr wirkte wie ein kleiner Teich im Haus – geworfen. Ich zog ganz schnell unsere Jungs um und zog das Treppenschutzgitter zwischen Kinderzimmer und Wohnbereich hinter mir um schnell den Boden wischen zu können, ohne dass Miro und Martin wieder in ihrer selbstgemachten Wasserpfütze hüpfen könnten. Während ich also schnell versuchte alles trocken zu bekommen, hörte ich im Hintergrund wie Miro mit dem Kopf rhythmisch gegen den Kleiderschrank schlug und Martin gleichzeitig „Wir wünschen euch Frohe Weihnacht‘“ sang. Da ich hören konnte, dass Miros Kopf klopfen, sanfter Natur war, wischte ich schnell fertig. Wäre zu dem Zeitpunkt jemand einfach zur Haustüre reingekommen, hätte er sich wohl gedacht, in einer Irrenanstalt gelandet zu sein. Wir gaben aber zugegebenermaßen auch ein merkwürdiges Bild ab. Als ich die Handtücher ins Badezimmer brachte um sie aufzuhängen, hörte ich schon an Martins Gesang, dass ihn irgendetwas nervös machte und gleichzeitig, dass sich Miro Klopfen verändert hatte, also ließ ich Tücher Tücher sein und rannte schnell ins Zimmer zu ihnen. Und das gerade noch rechtzeitig, denn Martin hatte Miro bereits am Shirt-Rücken gepackt und zog ihn wütend in Richtung Zimmermitte. Durch das verrutschte Leibchen am Hals, bekam Miro nun schwer Luft. Als ich Martins Hand von ihm löste, kuschelte sich Miro schnell bei mir ein, während Martin nun krampfhaft versuchte, mich nicht zu schlagen. Man sah ihm in solchen Momenten, die Verzweiflung und den inneren Kampf richtiggehend, an. Alles in ihm schrie danach auf jemanden einschlagen zu wollen, während er selbst versuchte sich davon abzuhalten, da er niemanden verletzen wollte. Diesen Kampf gegen sich selbst verlor er allerdings, als mich seine kleine Faust ziemlich schmerzhaft, zweimal hintereinander in die Seite traf. Nur um dann ganz verzweifelt zu schreien. Als er schließlich nicht mehr um sich schlug, konnte ich ihn immerhin auch in meine Umarmung ziehen, auch wenn ich darauf achten musste, dass sich Miro und Martin dabei nicht zu nahe kamen. Zum Glück kam in diesem Moment der große Martin zusammen mit Jozefina, vom Einkaufen zurück. Nachdem ich meine kleine Jozefina begrüßt und ihr einen dicken Kuss gegeben hatte, nahm mein Mann gleich Miro auf den Arm, um mich zu unterstützen. Es brauchte keine Erklärungen mehr zwischen uns. Außerdem muss ich wohl ziemlich verzweifelt gewirkt haben in diesem Moment. Gemeinsam zählten wir bis 20 und zurück – zuerst auf Deutsch, dann Englisch, Kroatisch, Spanisch und dann wieder auf Deutsch. Und ganz langsam legte sich die Situation wieder. Es dauerte etwas, bis ich schließlich herausfand was der Auslöser war. Miro wollte mit Martin mitsingen und sang aber in einem Rhythmus als dieser – und das war etwas was für den kleinen Martin extrem schwer auszuhalten war. Generell war die Frustrationstoleranz bezogen auf den Zwillingsbruder, noch geringer als sie es ohnehin schon im Alltag war.
Nachdem nun das Chaos beseitigt und wieder Ruhe eingekehrt war, wollten die Kinder unbedingt mit dem Basteln der Weihnachtsdeko beginnen – und ganz ehrlich, ich war richtig erleichtert. Denn das bedeutete, dass sie zumindest für 15 Minuten am Tisch sitzen würden und das eine kurze Verschnaufpause für mich bedeutete. Während ich also schnell die Tischunterlage und die Weihnachtsbilder holte, hielt mein Mann im Wohnzimmer die Stellung mit den Kindern. Er startete die Weihnachtsmusik und tanzte mit ihnen, immer darauf bedacht, alles im Blick zu haben, damit es nicht zu weiteren Eskalationen kommen konnte.
So saßen wir also Anfang Oktober beisammen am Tisch, während wir alle zusammen  Weihnachtsanhänger bemalten und Weihnachtslieder sangen.
Das mag für einige sehr verfrüht wirken, aber die Kinder, vor allem unser kleiner Martin, hatten wohl den „Weihnachts-Wahnsinn“ (so nannte es mein Mann immer) von mir geerbt. Wir liebten die gerade die Vorweihnachtszeit, die sanften Lichter, die Lieder und das Gefühl von Weihnachten. Somit dauerte bei uns die Weihnachtszeit wohl deutlich länger als bei den meisten anderen Familien. Tatsächlich schien dies alles auch unsere Jungs zu beruhigen und hatte somit auch einen großen positiven Effekt für den Rest von uns. Auch wenn uns unsere Freunde gerne ein bisschen auf den Arm nahmen, wegen unseres „Weihnachtswahnsinns“ lebten wir in dieser Zeit immer richtig auf, vor allem da Miro und Martin in dieser Zeit, häufiger mit uns kuscheln wollten und für uns Eltern, war das Balsam für unsere Seelen.
Vor dem Schlafengehen bat Jozefina darum, dass wir wieder gemeinsam Turnübungen machen sollten im Kinderzimmer. Während der große Martin beschloss, lieber aus sicherer Entfernung zuzusehen, machten wir unsere Übungen. Jozefina liebte das, vor allem auch, wenn sie dann die Übungen vorzeigen durfte. Miro und Martin hatten auch Spaß daran und für sie war das eine ganz tolle Imitationsübung, auch wenn diese nicht wie geplant gelang. Abschließend und da sich der Papa den Turnübungen entzogen hatte, durfte er als Pferd herhalten, während die Kinder geeint auf seinem Rücken durch das Haus galoppierten.
Trotz dieser etwas überfordernden Situation am späten Nachmittag, (der ich definitiv hätte vorbeugen können), war es doch ein wunderschöner Tag mit den Kids. Und dennoch war ich dann wahnsinnig erleichtert, als schließlich alle drei Kinder ruhig atmend einschliefen, während der große Martin und ich uns noch für eine halbe Stunde plaudernd, gemeinsam aufs Sofa setzten.
Auch wenn mir zusätzlicher Schlaf sicher gutgetan hätte, war diese ruhige Zeit abends essenziell für unsere Ehe. Denn ansonsten blieb uns keine Zeit um Gespräche zu führen, die nicht nur knappe Anweisungen oder Erklärungen waren. Diese Zeit, die wir uns bewusst nahmen, schweißte uns als Team, als Paar und als Freunde zusammen.

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