Martins Vermächtnis

Martins Vermächtnis - Was soll das eigentlich sein?


Ich bin Mama von drei unglaublichen Kindern, Jozefina, Miroslav (oder Miro, wie ihn die meisten nennen) und Martin. Unsere Zwillingsjungs haben Autismus und unsere Jozefina ist die fürsorglichste Schwester die ich kenne, ein Mädchen, dass wir Eltern immer daran erinnern müssen, dass sie selbst ein Kind ist und auch sein darf. Jeder der drei ist auf seine Weise einzigartig. 

Martin ist mein Mini-me. Ungeduldig, zornig, wenn er nicht verstanden wird und doch ein riesen Herz. Sein wunderbares, Wärme schenkendes Herz hat am 20.2.2023 aufgehört zu schlagen. Ohne Vorwarnung wurde unser Martin aus dem Leben gerissen. Ertrunken in einem Biotop, bei einem Kindergarten-Ausflug. Als ich den Anruf bekam und anfing nach meinem Baby zu suchen, war er mit hoher Wahrscheinlichkeit schon tot. Als mein Kind die größte Angst seines Lebens durchstehen musste, war ich nicht an seiner Seite. Das erste und einzige Mal, dass er ohne mich, alleine Kämpfen musste. Dieser Gedanke zerreißt mich und schnürt mir die Luft ab. Mein Kind, tot, neben dem Wasser mit offenen, leeren Augen, die Brust die sich nicht mehr Hebt und senkt, dieses Bild hat sich für immer in meine Seele gegraben und hat mein Leben wie es vorher war, für immer beendet. 

Ich bin mir sicher, dass ich ihn eines Tages wieder in eine liebevolle Umarmung ziehen darf und dass er trotz allem in irgendeiner Form an unserer Seite ist. Und doch ist der Schmerz unvergleichbar, unerträglich und so schneidend, dass ich oft nicht weiß, wie ich auch nur einen einzigen Schritt gehen soll. 
Doch ich habe keine Wahl, ich habe hier bei mir noch zwei unglaubliche Kinder, die mich jetzt mehr denn je brauchen, zwei Kinder die selbst im Schlaf um ihren geliebten Bruder weinen. Liebe Mama, du hast keine Zeit in ein Loch zu fallen oder dich zu verkriechen. Egal wie sehr der Schmerz um dein geliebtes Kind dich verbrennt, du gehst weiter, Schritt für Schritt, egal wie sehr das Herz dabei blutet.

Diejenigen von euch die dem Begräbnis beigewohnt haben, erinnern  sich sicher auch, daran was ich meinem Martin während der Trauerrede versprochen habe. Ich habe ihm Versprochen unseren Kampf fortzusetzen, solange ich atme.

Unser Kampf für Akzeptanz und Verständnis von Autismus hat mit meinen Kindern begonnen. Gerade Martin ist in der Gesellschaft stark aufgefallen. Und sein großer Gerechtigkeitssinn und der Wunsch nach Teilhabe in der Gesellschaft war unvergleichbar. 

Ich werde darum kämpfen, dass andere Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene im Spektrum diese Möglichkeit bekommen. 
Ich werde darum kämpfen, dass sie ein Leben führen dürfen, in dem sie als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft gesehen werden. 
Ich werde dafür kämpfen, dass sie die notwendigen Therapien bekommen, dafür dass die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Fast zeitgleich mit unserem kleinen Prinzen Martin, der beim Kiga-Ausflug weggelaufen und ertrunken ist, ist in Hamburg ein 10-jähriger Autist aus der Sonderschule weggelaufen und ebenfalls ertrunken. 
Im Austausch mit anderen Eltern deren Kinder ASS haben, wurde mir bewusst wie viele ihrer Kinder schon aus Kiga, Schule, etc weggelaufen sind. Ein Punkt der den wenigsten bewusst ist. Es kann und darf nicht sein, dass so etwas immer und immer wieder passiert. Denn jeder einzelne dieser Fälle hätte so enden können wie unserer. Sei es im Wasser, auf der Straße oder bei einem Sturz.
Niemand soll diesen unerträglichen Schmerz mehr fühlen müssen. 

In jedem Bereich unseres Systems sind Autisten unterversorgt und ich Frage mich, wie es sein kann, dass für so viele Menschen nichts getan wird. 
Dabei wäre es so einfach. 
Ich habe mich diesem Weg verschrieben, es meinem Sohn versprochen und diejenigen unter euch die mich kennen, wissen auch, dass ich niemals aufhören werde zu kämpfen, niemals aufgeben werde, schon gar nicht, wenn es um meine Kinder geht. Denn meine Kinder sind mein Leben.

Ich bin Mama von drei Kindern und werde es auch für immer sein, auch wenn mein Martin auf der anderen Seite des Regenbogens ist, ist er doch immer in meinem Herzen und meinen Gedanken. 

Mein kleiner Prinz ich liebe dich bis ans Ende meiner Tage und weit darüber hinaus. Denn diese Liebe endet niemals. Und ich verspreche dir, dein Vermächtnis aufzubauen, denn dein Tod wird das Sinnbild sein, für etwas das nie wieder geschehen darf und soll der Anfang sein, für eine bessere Welt. 
Ich liebe dich kleiner Hase.

Unser Leben mit Autismus

Was ist eigentlich Autismus? 


Uns erreichen in letzter Zeit immer wieder Fragen zum Thema Autismus, vor allem aber was das eigentlich wirklich genau ist. Bis hin zu der Frage ob unser kleiner Martin an seinem Autismus verstorben ist. 


Deshalb habe ich beschlossen, eine sehr komprimierte aber hoffentlich für alle, verständliche Erklärung niederzuschreiben.


Eine Autismusspektrum-Störung, kurz ASS genannt, gilt als tiefgreifende Entwicklungsstörung. Dabei können mehrere Lebensbereiche betroffen sein. Etwa die soziale Interaktion, die Motorik, das Sprachverständnis, oder intellektuelle Fähigkeiten, etc.

Viele Menschen sehen, wenn sie an einen Autisten denken, einen schrulligen Eigenbrötler, der mit niemandem klar kommt, aber in irgendeinem Gebiet ein Genie ist (meistens gehen die Leute von IT, Mathematik oder Physik aus).


Tatsächlich sind diese Spezialgebiet-Genies, Savants genannt, gar nicht so häufig. Wäre dies nämlich tatsächlich so, könnte man wohl mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit sagen, dass die meisten Probleme unserer Welt bereits gelöst wären. 

Denn rund 2% der Bevölkerung ist von einer ASS betroffen. (Also 1 von 50, das ist nicht wenig.) 

Man möge sich ausrechnen, wie viele geniale autistische Wissenschaftler, diesem Denken nach auf unserem Planeten wandeln. 


Tatsache ist, diese Savants sind gar nicht so häufig. 

Was bedeutet dieses Bild aber nun für Familien?

Abgesehen davon, dass unsere autistischen Kinder ohnehin schon sehr genau beäugt und für ihr Verhalten kritisiert werden, steigt damit auch der Druck. "Denn wenn sich das Kind schon so merkwürdig verhält, dann soll es doch bitte auch ein Genie sein, am besten schon mit 6 Jahren." 

Nun ist es aber so, dass diese Vorstellung absolut nicht der Realität entspricht und manchmal habe ich das Gefühl, dass Eltern ihre Kinder im Spektrum, dann sogar ganz unbewusst verstecken, aus Schutz dem Kind gegenüber und aus Selbstschutz. Leider führt dies zu noch mehr Unwissen innerhalb der Gesellschaft.


Aber was nun bedeutet Autismus? 

Am einfachsten lässt es sich erklären, mit einer Datenverarbeitungsstörung. Das Hirn eines Autisten nimmt viel mehr Daten auf einmal auf als unseres, wenn ich es jetzt richtig im Kopf habe, mindestens zweieinhalb Mal soviele Daten auf einmal. Allerdings fehlen zur Verarbeitung die notwendigen Filter. 

Ich unterhalte mich mit jemandem, nebenbei Zwitschern die Vögel, ein Auto fährt vorbei, irgendwo in weiter Ferne hört man das Piepsen eines LKWs. Ich folge dem Gespräch und nehme die anderen Geräusche, wenn dann nur am Rande wahr.


Mein Sohn hingegen hört alle diese Dinge und noch viel mehr auf einmal, allerdings filtert hier das Gehirn nicht richtig, was davon relavant ist. Somit strömen all diese Geräusche auf einmal auf ihn ein. So verhält es sich auch mit den anderen Sinnesorganen. Allein die Vorstellung daran, fällt mir persönlich schwer, macht mich nervös und laugt aus.

Man versteh also, dass Menschen im Spektrum eine ganz andere Wahrnehmung haben.


Im Zuge dieser Überreizung kann es dann leicht zu einem Meltdown kommen. (Ein Meltdown ist meist das was die Gesellschaft als nicht erzogenes, furchtbares Benehmen wahrnimmt.) Vor allem dann, wenn noch nicht die richtigen Strategien zur Regulierung entwickelt sind. 

Man kann es vielleicht veranschaulichen, mit einem Topf Wasser am Herd: 

Ich fülle Wasser in einen Topf, gebe einen Deckel drauf und  schalte den Herd auf die höchste Stufe. 

Das Wasser wird beginnen zu kochen, irgendwann pfeift der aufsteigende Dampf zwischen Topf und Deckel durch. Wenn ich jetzt nicht weiß, dass ich den Deckel abnehmen muss, und den Herd zurückdrehen, dann wird der Inhalt überlaufen. Auch wenn ich es weiß und zu langsam reagiere, ist das Ergebnis das Gleiche.


Und hier muss man ganz klar machen:

Jeder Autist ist anders, ebenso wie die  Regulations-Strategien die der oder die Betroffenene braucht. 

Autismus ist nicht heilbar, es ist ja auch keine Krankheit.

Wenn eine ASS aber früh erkannt wird, Kann man eigentlich sehr gut fördern und unterstützen und natürlich auch die richtigen Regulations-Strategien erlernen. 

Es ist nicht leicht, aber definitiv nicht unmöglich. Dafür braucht es aber vor allem: Verständnis,  Akzeptanz und Integration und natürlich ganz viel Liebe und Geduld.

Von der Familie, vom Umfeld, von Kindergärten und Schulen und der Gesellschaft. 

Dies wird allerdings nur mit viel Aufklärungsarbeit möglich sein. 

Denn wie wir sehen, wissen wir viel zu wenig und glauben doch alles zu wissen.


Was bedeutet Autismus für Familien_Teil12

 

 

...Nach dieser Nacht, die wie so oft schlaflos für mich war, starteten wir in unsere Morgenroutine und somit in den ersten Kindergartentag des neuen Schuljahres und mit neuen Integrationspädagoginnen. Mein Mann und ich waren schon darauf eingestellt, dass es wie jedes Jahr eine neue Eingewöhnungszeit für Martin geben würde. Denn auch wenn unser kleiner Martin den Kindergarten liebte, so war er doch jedes Jahr von der Umstellung überfordert. Meistens wurden Gegenstände in der Gruppe umgestellt, oder aber etwa an der Einrichtung geändert. Das bedeutete für ihn immer großen Stress und er brauchte seine Zeit um sich daran zu gewöhnen. Somit waren wir bereits darauf vorbereitet, dass es ein kurzer Tag werden würde.
Bevor wir zum Auto aufbrachen, trank ich meinen wohl achten oder neunten Kaffee an diesem Tag, wobei der ohnehin schon keine Wirkung mehr zeigt und stattdessen wahrscheinlich nur mehr, meine innere Unruhe verstärkte. Miro schaute sich noch seine Windräder an, Martin baute eine Straße im Kinderzimmer auf und Jozefina malte noch ein Bild für mich. Also entschloss ich mich, zum wahrscheinlich zehnten Mal, nochmal die Rucksäcke mit dem Ersatzgewand zu kontrollieren. Lange Hosen und lange Shirts, kurze Hosen und kurze Shirts, Socken, Unterwäsche, Turngewand, Hausschuhe und die Rucksackleinen, für Ausflüge, für Miro und Martin – alles war drinnen, wie auch schon bei den vorhergehenden Rucksack-Kontrollen.
Schließlich war es soweit. Ich sagte den Kindern, dass es gleich an der Zeit war in den Kindergarten zu fahren, stellte ihnen den visuellen Timer auf zwei Minuten und erklärte dazu, dass wenn die Zeit abgelaufen war, wir uns anziehen gehen würden. Die Uhr läutete und während Jozefina sich fertig machte, zog ich Martin seine Schuhe an. Als ich mich gerade unserem kleinen Miro die Schuhe anzog, nahm Martin dies zum Anlass um noch eine Runde Fangen zu spielen. Er rannte also lachend zurück in die Küche und um den Tisch. Als ich ihm nachkam sprang er auf die Küchenbank und startete seine zweite Runde. Mal wieder verfluchte ich innerlich, den großen Esstisch, der es mir erschwerte meinen kleinen Rabauken abzufangen. Martin war glückselig und liebte dieses Spiel, vor allem dann, wenn wir einen Zeitplan einzuhalten hatten. Nachdem ich ihn schlussendlich einfangen konnte, lachte er so herzlich, dass ich doch auch wieder schmunzeln musste. Nachdem wir endlich beim Auto ankamen, hob ich Miro in seinen Sitz und schnallte ihn an, während ich Martin, wie immer mit der anderen Hand festhielt. Nachdem dann endlich alle Kinder in ihren Autositzen saßen und Mama es ins Auto geschafft hatte, hieß es für mich, das Kindergarten-Autofahrt-Lied abzuspielen. Ich selbst hätte darauf vergessen und damit wahrscheinlich ein Weltuntergangs-Szenario heraufbeschwört – doch zum Glück, dachte meine Jozefina an das Lied, für ihre Brüder. Während die Kinder voller Inbrunst, möglichst laut mitsangen und dies auch von mir einforderten, parkte ich das Auto vor dem Kindergarten.
Ich atmete noch einmal tief durch und holte die Kinder wieder aus ihren Sitzen. Beim Kindergartentor, verlangte Miro auf den Arm genommen zu werden, damit er seine Windräder ansehen konnte. Nachdem auch der Punkt unserer Liste abgehakt war, betraten wir schließlich den Kindergarten. Nachdem wir nach kurzem Kampf, die Schuhe umgezogen und die Rucksäcke an ihren Platz gehängt hatten, wurden die Jungs nach kurzer Unterredung mit Martins I-Pädagogin übergeben und ausgemacht, dass geschaut wird, wie es für ihn funktioniert nach den Ferien.
Also noch Bussis und Umarmungen für Martin und Jozefina und weg waren sie. Und ich? Ich war zugegeben ziemlich überrascht und auch überfordert von der Tatsache, wie schnell Martin in Richtung Gruppe gelaufen war. Gleichzeitig war ich richtig stolz und freute mich unglaublich, während ich mit Miro zurück zum Auto ging, um mit ihm zur Therapie zu fahren.
Während Miros Therapie-Einheit schaute ich immer wieder verstohlen aufs Handy, damit rechnend, dass es jeden Moment läuten würde, so wie auch in den Jahren davor. Doch dem war nicht so. Schließlich brachte ich auch meinen kleinen Miro in den Kindergarten, wo ich noch erfuhr, wie viel Freude Martin doch hätte. Alle waren darüber sichtlich erstaunt. Also schlich ich mich wieder aus dem Kindergarten, um den Erfolg des Tages nicht doch noch zu beenden und machte mich darauf die liegen gebliebene Wäsche, der letzten Nacht, sowie die Hausarbeit in Rekordzeit zu erledigen um wieder pünktlich zum Abholen im Kindergarten zu sein.
Zu unser aller Überraschung, verlief der erste Tag, so wie auch die restliche Woche komplett problemlos und alle staunten nur darüber, wie unglaublich toll sich unsere Burschen, vor allem aber Martin, über den Sommer entwickelt hatten.
Im Laufe dieser Woche hatte ich dann auch Gelegenheit, Miros neue Integrationspädagogin kennenzulernen, eine unglaublich liebe, herzliche Frau, die eine innere Ruhe ausstrahlte und unser Miro hatte sie vom ersten Moment an, als neue Bezugsperson akzeptiert. Sie erzählte mir dann auch, dass sie eigentlich großen Respekt, vor dieser Aufgabe gehabt hatte und über den Sommer so viel, wie möglich zum Thema „Frühkindlicher Autismus“ gelesen hatte und dies ihre Sorgen aber nicht unbedingt verringert hätte. Sie war auch sehr überrascht darüber, dass Miro so anders war, als vieles was sie zu dem Thema gelesen hatte. Wir tauschten uns aus und ich erklärte ihr, welche Strategien Miro halfen, was ihn überforderte und was er wirklich brauchte um den Tag gut bewältigen zu können.
Wir Eltern waren unglaublich erleichtert darüber, wie gut es ihm Kinderarten klappte, wie schnell Miro und Martin eine Bindung zu ihren Pädagoginnen aufbauten. Ein riesen Stein fiel uns vom Herzen.
Da es im Kindergarten so gut klappte, kam es natürlich daheim, so wie es kommen musste – zu Hause drehten alle am Rad, wie man so schön sagt. Martin war plötzlich wieder sehr aggressiv und schrie sehr viel; und Miro weinte sehr viel und klebte quasi an mir. Und beide zusammen, machten wieder möglichst viele gefährliche Sachen, sobald ich ihnen für einen kurzen Moment, den Rücken zu kehrte. Auch wenn uns klar war, warum es momentan so schwierig war – nämlich, dass die Umstellung einfach trotzdem anstrengend für sie war und es eigentlich toll war, dass sie es im Kindergarten schafften und aushielten – machte diese Erklärung, die folgende Woche, auch nicht einfacher für uns alle.
Aber wie schon davor, brachten wir auch diese Zeit der Veränderung und Umstellung hinter uns. Unsere Nachmittage und Nächte waren geprägt von Musik, Entspannungsübungen, Phasen von Erdungsübungen, Papas Geschichten und Schlafentzug. Dennoch waren wir glücklich, glücklich darüber, dass unsere Sorgen, die wir uns den Sommer über gemacht hatten, unbegründet schienen und dass die positiven Entwicklungen der Beiden, so viel ausmachten.
Nun hieß es zu hoffen, dass es im Kindergarten so toll weiter laufen würde, wie in dieser ersten Woche und darauf zu bauen, dass die extreme Phase zu Hause, schnell vorübergehen würde, denn langsam aber doch, sah mein Körper aus wie eine Landkarte, da Martins Meltdowns zu dieser Zeit mit dem Werfen von Gegenständen und Schlägen einhergingen. Mit viel Übung und nach rund drei Tagen, schaffte Martin es schließlich, unser (lange Zeit geübtes) Umlenken der Aggressionen, wieder anzuwenden. Und so biss er wieder in seinen heiß geliebten Polster statt jemand anderen zu verletzen. Obwohl der Polster schon übersät war, mit winzig kleinen Löchern und ich ihm, exakt den gleichen (nur eben unversehrt) anbot, legte er seinen „lila Polster“, wie er ihn nannte, nicht mehr ab.
Martins in den Polster Beißen, verschaffte uns allen Erleichterung und eine kleine Verschnaufpause und somit auch etwas Zeit um mit den Geburtstagsvorbereitungen von Miros und Martins fünftem Geburtstag zu beginnen…

der geliebte lila Polster, der so viel Sicherheit in Martins Welt bracht

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Was bedeutet Autismus für Familien_Teil12

 

 

...Nach dieser Nacht, die wie so oft schlaflos für mich war, starteten wir in unsere Morgenroutine und somit in den ersten Kindergartentag des neuen Schuljahres und mit neuen Integrationspädagoginnen. Mein Mann und ich waren schon darauf eingestellt, dass es wie jedes Jahr eine neue Eingewöhnungszeit für Martin geben würde. Denn auch wenn unser kleiner Martin den Kindergarten liebte, so war er doch jedes Jahr von der Umstellung überfordert. Meistens wurden Gegenstände in der Gruppe umgestellt, oder aber etwa an der Einrichtung geändert. Das bedeutete für ihn immer großen Stress und er brauchte seine Zeit um sich daran zu gewöhnen. Somit waren wir bereits darauf vorbereitet, dass es ein kurzer Tag werden würde.
Bevor wir zum Auto aufbrachen, trank ich meinen wohl achten oder neunten Kaffee an diesem Tag, wobei der ohnehin schon keine Wirkung mehr zeigt und stattdessen wahrscheinlich nur mehr, meine innere Unruhe verstärkte. Miro schaute sich noch seine Windräder an, Martin baute eine Straße im Kinderzimmer auf und Jozefina malte noch ein Bild für mich. Also entschloss ich mich, zum wahrscheinlich zehnten Mal, nochmal die Rucksäcke mit dem Ersatzgewand zu kontrollieren. Lange Hosen und lange Shirts, kurze Hosen und kurze Shirts, Socken, Unterwäsche, Turngewand, Hausschuhe und die Rucksackleinen, für Ausflüge, für Miro und Martin – alles war drinnen, wie auch schon bei den vorhergehenden Rucksack-Kontrollen.
Schließlich war es soweit. Ich sagte den Kindern, dass es gleich an der Zeit war in den Kindergarten zu fahren, stellte ihnen den visuellen Timer auf zwei Minuten und erklärte dazu, dass wenn die Zeit abgelaufen war, wir uns anziehen gehen würden. Die Uhr läutete und während Jozefina sich fertig machte, zog ich Martin seine Schuhe an. Als ich mich gerade unserem kleinen Miro die Schuhe anzog, nahm Martin dies zum Anlass um noch eine Runde Fangen zu spielen. Er rannte also lachend zurück in die Küche und um den Tisch. Als ich ihm nachkam sprang er auf die Küchenbank und startete seine zweite Runde. Mal wieder verfluchte ich innerlich, den großen Esstisch, der es mir erschwerte meinen kleinen Rabauken abzufangen. Martin war glückselig und liebte dieses Spiel, vor allem dann, wenn wir einen Zeitplan einzuhalten hatten. Nachdem ich ihn schlussendlich einfangen konnte, lachte er so herzlich, dass ich doch auch wieder schmunzeln musste. Nachdem wir endlich beim Auto ankamen, hob ich Miro in seinen Sitz und schnallte ihn an, während ich Martin, wie immer mit der anderen Hand festhielt. Nachdem dann endlich alle Kinder in ihren Autositzen saßen und Mama es ins Auto geschafft hatte, hieß es für mich, das Kindergarten-Autofahrt-Lied abzuspielen. Ich selbst hätte darauf vergessen und damit wahrscheinlich ein Weltuntergangs-Szenario heraufbeschwört – doch zum Glück, dachte meine Jozefina an das Lied, für ihre Brüder. Während die Kinder voller Inbrunst, möglichst laut mitsangen und dies auch von mir einforderten, parkte ich das Auto vor dem Kindergarten.
Ich atmete noch einmal tief durch und holte die Kinder wieder aus ihren Sitzen. Beim Kindergartentor, verlangte Miro auf den Arm genommen zu werden, damit er seine Windräder ansehen konnte. Nachdem auch der Punkt unserer Liste abgehakt war, betraten wir schließlich den Kindergarten. Nachdem wir nach kurzem Kampf, die Schuhe umgezogen und die Rucksäcke an ihren Platz gehängt hatten, wurden die Jungs nach kurzer Unterredung mit Martins I-Pädagogin übergeben und ausgemacht, dass geschaut wird, wie es für ihn funktioniert nach den Ferien.
Also noch Bussis und Umarmungen für Martin und Jozefina und weg waren sie. Und ich? Ich war zugegeben ziemlich überrascht und auch überfordert von der Tatsache, wie schnell Martin in Richtung Gruppe gelaufen war. Gleichzeitig war ich richtig stolz und freute mich unglaublich, während ich mit Miro zurück zum Auto ging, um mit ihm zur Therapie zu fahren.
Während Miros Therapie-Einheit schaute ich immer wieder verstohlen aufs Handy, damit rechnend, dass es jeden Moment läuten würde, so wie auch in den Jahren davor. Doch dem war nicht so. Schließlich brachte ich auch meinen kleinen Miro in den Kindergarten, wo ich noch erfuhr, wie viel Freude Martin doch hätte. Alle waren darüber sichtlich erstaunt. Also schlich ich mich wieder aus dem Kindergarten, um den Erfolg des Tages nicht doch noch zu beenden und machte mich darauf die liegen gebliebene Wäsche, der letzten Nacht, sowie die Hausarbeit in Rekordzeit zu erledigen um wieder pünktlich zum Abholen im Kindergarten zu sein.
Zu unser aller Überraschung, verlief der erste Tag, so wie auch die restliche Woche komplett problemlos und alle staunten nur darüber, wie unglaublich toll sich unsere Burschen, vor allem aber Martin, über den Sommer entwickelt hatten.
Im Laufe dieser Woche hatte ich dann auch Gelegenheit, Miros neue Integrationspädagogin kennenzulernen, eine unglaublich liebe, herzliche Frau, die eine innere Ruhe ausstrahlte und unser Miro hatte sie vom ersten Moment an, als neue Bezugsperson akzeptiert. Sie erzählte mir dann auch, dass sie eigentlich großen Respekt, vor dieser Aufgabe gehabt hatte und über den Sommer so viel, wie möglich zum Thema „Frühkindlicher Autismus“ gelesen hatte und dies ihre Sorgen aber nicht unbedingt verringert hätte. Sie war auch sehr überrascht darüber, dass Miro so anders war, als vieles was sie zu dem Thema gelesen hatte. Wir tauschten uns aus und ich erklärte ihr, welche Strategien Miro halfen, was ihn überforderte und was er wirklich brauchte um den Tag gut bewältigen zu können.
Wir Eltern waren unglaublich erleichtert darüber, wie gut es ihm Kinderarten klappte, wie schnell Miro und Martin eine Bindung zu ihren Pädagoginnen aufbauten. Ein riesen Stein fiel uns vom Herzen.
Da es im Kindergarten so gut klappte, kam es natürlich daheim, so wie es kommen musste – zu Hause drehten alle am Rad, wie man so schön sagt. Martin war plötzlich wieder sehr aggressiv und schrie sehr viel; und Miro weinte sehr viel und klebte quasi an mir. Und beide zusammen, machten wieder möglichst viele gefährliche Sachen, sobald ich ihnen für einen kurzen Moment, den Rücken zu kehrte. Auch wenn uns klar war, warum es momentan so schwierig war – nämlich, dass die Umstellung einfach trotzdem anstrengend für sie war und es eigentlich toll war, dass sie es im Kindergarten schafften und aushielten – machte diese Erklärung, die folgende Woche, auch nicht einfacher für uns alle.
Aber wie schon davor, brachten wir auch diese Zeit der Veränderung und Umstellung hinter uns. Unsere Nachmittage und Nächte waren geprägt von Musik, Entspannungsübungen, Phasen von Erdungsübungen, Papas Geschichten und Schlafentzug. Dennoch waren wir glücklich, glücklich darüber, dass unsere Sorgen, die wir uns den Sommer über gemacht hatten, unbegründet schienen und dass die positiven Entwicklungen der Beiden, so viel ausmachten.
Nun hieß es zu hoffen, dass es im Kindergarten so toll weiter laufen würde, wie in dieser ersten Woche und darauf zu bauen, dass die extreme Phase zu Hause, schnell vorübergehen würde, denn langsam aber doch, sah mein Körper aus wie eine Landkarte, da Martins Meltdowns zu dieser Zeit mit dem Werfen von Gegenständen und Schlägen einhergingen. Mit viel Übung und nach rund drei Tagen, schaffte Martin es schließlich, unser (lange Zeit geübtes) Umlenken der Aggressionen, wieder anzuwenden. Und so biss er wieder in seinen heiß geliebten Polster statt jemand anderen zu verletzen. Obwohl der Polster schon übersät war, mit winzig kleinen Löchern und ich ihm, exakt den gleichen (nur eben unversehrt) anbot, legte er seinen „lila Polster“, wie er ihn nannte, nicht mehr ab.
Martins in den Polster Beißen, verschaffte uns allen Erleichterung und eine kleine Verschnaufpause und somit auch etwas Zeit um mit den Geburtstagsvorbereitungen von Miros und Martins fünftem Geburtstag zu beginnen…

der geliebte lila Polster, der so viel Sicherheit in Martins Welt bracht

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