Was ist eigentlich Autismus?
Uns erreichen in letzter Zeit immer wieder Fragen zum Thema Autismus, vor allem aber was das eigentlich wirklich genau ist. Bis hin zu der Frage ob unser kleiner Martin an seinem Autismus verstorben ist.
Deshalb habe ich beschlossen, eine sehr komprimierte aber hoffentlich für alle, verständliche Erklärung niederzuschreiben.
Eine Autismusspektrum-Störung, kurz ASS genannt, gilt als tiefgreifende Entwicklungsstörung. Dabei können mehrere Lebensbereiche betroffen sein. Etwa die soziale Interaktion, die Motorik, das Sprachverständnis, oder intellektuelle Fähigkeiten, etc.
Viele Menschen sehen, wenn sie an einen Autisten denken, einen schrulligen Eigenbrötler, der mit niemandem klar kommt, aber in irgendeinem Gebiet ein Genie ist (meistens gehen die Leute von IT, Mathematik oder Physik aus).
Tatsächlich sind diese Spezialgebiet-Genies, Savants genannt, gar nicht so häufig. Wäre dies nämlich tatsächlich so, könnte man wohl mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit sagen, dass die meisten Probleme unserer Welt bereits gelöst wären.
Denn rund 2% der Bevölkerung ist von einer ASS betroffen. (Also 1 von 50, das ist nicht wenig.)
Man möge sich ausrechnen, wie viele geniale autistische Wissenschaftler, diesem Denken nach auf unserem Planeten wandeln.
Tatsache ist, diese Savants sind gar nicht so häufig.
Was bedeutet dieses Bild aber nun für Familien?
Abgesehen davon, dass unsere autistischen Kinder ohnehin schon sehr genau beäugt und für ihr Verhalten kritisiert werden, steigt damit auch der Druck. "Denn wenn sich das Kind schon so merkwürdig verhält, dann soll es doch bitte auch ein Genie sein, am besten schon mit 6 Jahren."
Nun ist es aber so, dass diese Vorstellung absolut nicht der Realität entspricht und manchmal habe ich das Gefühl, dass Eltern ihre Kinder im Spektrum, dann sogar ganz unbewusst verstecken, aus Schutz dem Kind gegenüber und aus Selbstschutz. Leider führt dies zu noch mehr Unwissen innerhalb der Gesellschaft.
Aber was nun bedeutet Autismus?
Am einfachsten lässt es sich erklären, mit einer Datenverarbeitungsstörung. Das Hirn eines Autisten nimmt viel mehr Daten auf einmal auf als unseres, wenn ich es jetzt richtig im Kopf habe, mindestens zweieinhalb Mal soviele Daten auf einmal. Allerdings fehlen zur Verarbeitung die notwendigen Filter.
Ich unterhalte mich mit jemandem, nebenbei Zwitschern die Vögel, ein Auto fährt vorbei, irgendwo in weiter Ferne hört man das Piepsen eines LKWs. Ich folge dem Gespräch und nehme die anderen Geräusche, wenn dann nur am Rande wahr.
Mein Sohn hingegen hört alle diese Dinge und noch viel mehr auf einmal, allerdings filtert hier das Gehirn nicht richtig, was davon relavant ist. Somit strömen all diese Geräusche auf einmal auf ihn ein. So verhält es sich auch mit den anderen Sinnesorganen. Allein die Vorstellung daran, fällt mir persönlich schwer, macht mich nervös und laugt aus.
Man versteh also, dass Menschen im Spektrum eine ganz andere Wahrnehmung haben.
Im Zuge dieser Überreizung kann es dann leicht zu einem Meltdown kommen. (Ein Meltdown ist meist das was die Gesellschaft als nicht erzogenes, furchtbares Benehmen wahrnimmt.) Vor allem dann, wenn noch nicht die richtigen Strategien zur Regulierung entwickelt sind.
Man kann es vielleicht veranschaulichen, mit einem Topf Wasser am Herd:
Ich fülle Wasser in einen Topf, gebe einen Deckel drauf und schalte den Herd auf die höchste Stufe.
Das Wasser wird beginnen zu kochen, irgendwann pfeift der aufsteigende Dampf zwischen Topf und Deckel durch. Wenn ich jetzt nicht weiß, dass ich den Deckel abnehmen muss, und den Herd zurückdrehen, dann wird der Inhalt überlaufen. Auch wenn ich es weiß und zu langsam reagiere, ist das Ergebnis das Gleiche.
Und hier muss man ganz klar machen:
Jeder Autist ist anders, ebenso wie die Regulations-Strategien die der oder die Betroffenene braucht.
Autismus ist nicht heilbar, es ist ja auch keine Krankheit.
Wenn eine ASS aber früh erkannt wird, Kann man eigentlich sehr gut fördern und unterstützen und natürlich auch die richtigen Regulations-Strategien erlernen.
Es ist nicht leicht, aber definitiv nicht unmöglich. Dafür braucht es aber vor allem: Verständnis, Akzeptanz und Integration und natürlich ganz viel Liebe und Geduld.
Von der Familie, vom Umfeld, von Kindergärten und Schulen und der Gesellschaft.
Dies wird allerdings nur mit viel Aufklärungsarbeit möglich sein.
Denn wie wir sehen, wissen wir viel zu wenig und glauben doch alles zu wissen.
Nachdem dann der große Martin endlich wieder von seiner Schulung nach Hause kam, stellte sich langsam wieder unser „normaler“ Alltag ein. Nach seiner Ankunft waren
die ersten beiden Tage zwar wieder ziemlich anstrengend, aber auch diese gingen vorbei und im Endeffekt war das ja bereits ein altbekanntes Spiel für uns. Bei jeder Veränderung des Alltags und
unserer Struktur tat sich für unsere beiden Buben ein Kampf auf – und somit auch für den Rest der Familie. Veränderungen waren für die Beiden, nach wie vor, schwer zu verkraften und stellten
somit unsere Routinen auf den Kopf.
Und auch, wenn ich mich zumindest wieder drei Schritte von meinem kleinen Martin entfernen durfte, so musste ich doch immer in seiner Nähe sein. Erstens weil ich sein Blickfeld nicht verlassen
durfte und zweitens, weil er zu diesem Zeitpunkt wieder eine sehr verhaltenskreative Phase hatte. Am glücklichsten war er, wenn ich in meiner Hektik irgendwo einen Stift liegen ließ, wie auch an
diesem Tag. Innerhalb von Sekunden malte er ein riesiges Kunstwerk an die Wand. Also hopp, den Schmutzradierer holen und die Wände wieder sauber machen. Rückblickend, bin ich mir nicht
sicher, ob er mehr Freude daran hatte, die Wände zu bemalen, oder aber sauber zu machen. Miro und Martin gefielen die Muster so unendlich gut, die durch das Abwischen mit dem Zauberschwamm an der
Wand erschienen – die verwischten Farben und die farbigen Wasserschlieren, wenn sie mit dem zu nassen Schmutzradierer über die Wände wischten. Während ich also nach dem trockenen Tuch griff um
die Wand abzuwischen und ihren Wasserschlieren Einhalt zu gebieten, sah ich schon aus dem Augenwinkel, wie Martin die große Wasserschüssel anhob. Noch während ich „Martin STOPP“ rief, strahlte er
mich mit funkelnden Augen an, nur um im gleichen Moment den Wasserbehälter auszuleeren. Beide Jungs quietschten vor Freude und Begeisterung während sie in der großen Wasserpfütze mitten im
Wohnzimmer mit unglaublicher Lebensfreude hüpften und dabei den umliegenden Bereich ebenso unter Wasser setzten. Innerlich verfluchte ich mich selbst, dass ich die Wasserschüssel kurz abgesetzt
hatte. Eigentlich sollten mir solche Dinge nicht mehr passieren. Während ich also Martin unter starker Gegenwehr schnappte und ins danebenliegende Kinderzimmer brachte, bemühte sich Miro in der
Zwischenzeit darum, die Wasserpfütze auf das Sofa zu bekommen. Also schnell die griffbereit liegenden Handtücher geschnappt und während ich Miro auf den Arm nahm noch schnell die Tücher auf die
Wasserlacke – die mittlerweile mehr wirkte wie ein kleiner Teich im Haus – geworfen. Ich zog ganz schnell unsere Jungs um und zog das Treppenschutzgitter zwischen Kinderzimmer und Wohnbereich
hinter mir um schnell den Boden wischen zu können, ohne dass Miro und Martin wieder in ihrer selbstgemachten Wasserpfütze hüpfen könnten. Während ich also schnell versuchte alles trocken zu
bekommen, hörte ich im Hintergrund wie Miro mit dem Kopf rhythmisch gegen den Kleiderschrank schlug und Martin gleichzeitig „Wir wünschen euch Frohe Weihnacht‘“ sang. Da ich hören konnte, dass
Miros Kopf klopfen, sanfter Natur war, wischte ich schnell fertig. Wäre zu dem Zeitpunkt jemand einfach zur Haustüre reingekommen, hätte er sich wohl gedacht, in einer Irrenanstalt gelandet zu
sein. Wir gaben aber zugegebenermaßen auch ein merkwürdiges Bild ab. Als ich die Handtücher ins Badezimmer brachte um sie aufzuhängen, hörte ich schon an Martins Gesang, dass ihn irgendetwas
nervös machte und gleichzeitig, dass sich Miro Klopfen verändert hatte, also ließ ich Tücher Tücher sein und rannte schnell ins Zimmer zu ihnen. Und das gerade noch rechtzeitig, denn Martin hatte
Miro bereits am Shirt-Rücken gepackt und zog ihn wütend in Richtung Zimmermitte. Durch das verrutschte Leibchen am Hals, bekam Miro nun schwer Luft. Als ich Martins Hand von ihm löste, kuschelte
sich Miro schnell bei mir ein, während Martin nun krampfhaft versuchte, mich nicht zu schlagen. Man sah ihm in solchen Momenten, die Verzweiflung und den inneren Kampf richtiggehend, an. Alles in
ihm schrie danach auf jemanden einschlagen zu wollen, während er selbst versuchte sich davon abzuhalten, da er niemanden verletzen wollte. Diesen Kampf gegen sich selbst verlor er allerdings, als
mich seine kleine Faust ziemlich schmerzhaft, zweimal hintereinander in die Seite traf. Nur um dann ganz verzweifelt zu schreien. Als er schließlich nicht mehr um sich schlug, konnte ich ihn
immerhin auch in meine Umarmung ziehen, auch wenn ich darauf achten musste, dass sich Miro und Martin dabei nicht zu nahe kamen. Zum Glück kam in diesem Moment der große Martin zusammen mit
Jozefina, vom Einkaufen zurück. Nachdem ich meine kleine Jozefina begrüßt und ihr einen dicken Kuss gegeben hatte, nahm mein Mann gleich Miro auf den Arm, um mich zu unterstützen. Es brauchte
keine Erklärungen mehr zwischen uns. Außerdem muss ich wohl ziemlich verzweifelt gewirkt haben in diesem Moment. Gemeinsam zählten wir bis 20 und zurück – zuerst auf Deutsch, dann Englisch,
Kroatisch, Spanisch und dann wieder auf Deutsch. Und ganz langsam legte sich die Situation wieder. Es dauerte etwas, bis ich schließlich herausfand was der Auslöser war. Miro wollte mit Martin
mitsingen und sang aber in einem Rhythmus als dieser – und das war etwas was für den kleinen Martin extrem schwer auszuhalten war. Generell war die Frustrationstoleranz bezogen auf den
Zwillingsbruder, noch geringer als sie es ohnehin schon im Alltag war.
Nachdem nun das Chaos beseitigt und wieder Ruhe eingekehrt war, wollten die Kinder unbedingt mit dem Basteln der Weihnachtsdeko beginnen – und ganz ehrlich, ich war richtig erleichtert. Denn das
bedeutete, dass sie zumindest für 15 Minuten am Tisch sitzen würden und das eine kurze Verschnaufpause für mich bedeutete. Während ich also schnell die Tischunterlage und die Weihnachtsbilder
holte, hielt mein Mann im Wohnzimmer die Stellung mit den Kindern. Er startete die Weihnachtsmusik und tanzte mit ihnen, immer darauf bedacht, alles im Blick zu haben, damit es nicht zu weiteren
Eskalationen kommen konnte.
So saßen wir also Anfang Oktober beisammen am Tisch, während wir alle zusammen Weihnachtsanhänger bemalten und Weihnachtslieder sangen.
Das mag für einige sehr verfrüht wirken, aber die Kinder, vor allem unser kleiner Martin, hatten wohl den „Weihnachts-Wahnsinn“ (so nannte es mein Mann immer) von mir geerbt. Wir liebten die
gerade die Vorweihnachtszeit, die sanften Lichter, die Lieder und das Gefühl von Weihnachten. Somit dauerte bei uns die Weihnachtszeit wohl deutlich länger als bei den meisten anderen Familien.
Tatsächlich schien dies alles auch unsere Jungs zu beruhigen und hatte somit auch einen großen positiven Effekt für den Rest von uns. Auch wenn uns unsere Freunde gerne ein bisschen auf den Arm
nahmen, wegen unseres „Weihnachtswahnsinns“ lebten wir in dieser Zeit immer richtig auf, vor allem da Miro und Martin in dieser Zeit, häufiger mit uns kuscheln wollten und für uns Eltern, war das
Balsam für unsere Seelen.
Vor dem Schlafengehen bat Jozefina darum, dass wir wieder gemeinsam Turnübungen machen sollten im Kinderzimmer. Während der große Martin beschloss, lieber aus sicherer Entfernung zuzusehen,
machten wir unsere Übungen. Jozefina liebte das, vor allem auch, wenn sie dann die Übungen vorzeigen durfte. Miro und Martin hatten auch Spaß daran und für sie war das eine ganz tolle
Imitationsübung, auch wenn diese nicht wie geplant gelang. Abschließend und da sich der Papa den Turnübungen entzogen hatte, durfte er als Pferd herhalten, während die Kinder geeint auf seinem
Rücken durch das Haus galoppierten.
Trotz dieser etwas überfordernden Situation am späten Nachmittag, (der ich definitiv hätte vorbeugen können), war es doch ein wunderschöner Tag mit den Kids. Und dennoch war ich dann wahnsinnig
erleichtert, als schließlich alle drei Kinder ruhig atmend einschliefen, während der große Martin und ich uns noch für eine halbe Stunde plaudernd, gemeinsam aufs Sofa setzten.
Auch wenn mir zusätzlicher Schlaf sicher gutgetan hätte, war diese ruhige Zeit abends essenziell für unsere Ehe. Denn ansonsten blieb uns keine Zeit um Gespräche zu führen, die nicht nur knappe
Anweisungen oder Erklärungen waren. Diese Zeit, die wir uns bewusst nahmen, schweißte uns als Team, als Paar und als Freunde zusammen.
Nachdem dann der große Martin endlich wieder von seiner Schulung nach Hause kam, stellte sich langsam wieder unser „normaler“ Alltag ein. Nach seiner Ankunft waren
die ersten beiden Tage zwar wieder ziemlich anstrengend, aber auch diese gingen vorbei und im Endeffekt war das ja bereits ein altbekanntes Spiel für uns. Bei jeder Veränderung des Alltags und
unserer Struktur tat sich für unsere beiden Buben ein Kampf auf – und somit auch für den Rest der Familie. Veränderungen waren für die Beiden, nach wie vor, schwer zu verkraften und stellten
somit unsere Routinen auf den Kopf.
Und auch, wenn ich mich zumindest wieder drei Schritte von meinem kleinen Martin entfernen durfte, so musste ich doch immer in seiner Nähe sein. Erstens weil ich sein Blickfeld nicht verlassen
durfte und zweitens, weil er zu diesem Zeitpunkt wieder eine sehr verhaltenskreative Phase hatte. Am glücklichsten war er, wenn ich in meiner Hektik irgendwo einen Stift liegen ließ, wie auch an
diesem Tag. Innerhalb von Sekunden malte er ein riesiges Kunstwerk an die Wand. Also hopp, den Schmutzradierer holen und die Wände wieder sauber machen. Rückblickend, bin ich mir nicht
sicher, ob er mehr Freude daran hatte, die Wände zu bemalen, oder aber sauber zu machen. Miro und Martin gefielen die Muster so unendlich gut, die durch das Abwischen mit dem Zauberschwamm an der
Wand erschienen – die verwischten Farben und die farbigen Wasserschlieren, wenn sie mit dem zu nassen Schmutzradierer über die Wände wischten. Während ich also nach dem trockenen Tuch griff um
die Wand abzuwischen und ihren Wasserschlieren Einhalt zu gebieten, sah ich schon aus dem Augenwinkel, wie Martin die große Wasserschüssel anhob. Noch während ich „Martin STOPP“ rief, strahlte er
mich mit funkelnden Augen an, nur um im gleichen Moment den Wasserbehälter auszuleeren. Beide Jungs quietschten vor Freude und Begeisterung während sie in der großen Wasserpfütze mitten im
Wohnzimmer mit unglaublicher Lebensfreude hüpften und dabei den umliegenden Bereich ebenso unter Wasser setzten. Innerlich verfluchte ich mich selbst, dass ich die Wasserschüssel kurz abgesetzt
hatte. Eigentlich sollten mir solche Dinge nicht mehr passieren. Während ich also Martin unter starker Gegenwehr schnappte und ins danebenliegende Kinderzimmer brachte, bemühte sich Miro in der
Zwischenzeit darum, die Wasserpfütze auf das Sofa zu bekommen. Also schnell die griffbereit liegenden Handtücher geschnappt und während ich Miro auf den Arm nahm noch schnell die Tücher auf die
Wasserlacke – die mittlerweile mehr wirkte wie ein kleiner Teich im Haus – geworfen. Ich zog ganz schnell unsere Jungs um und zog das Treppenschutzgitter zwischen Kinderzimmer und Wohnbereich
hinter mir um schnell den Boden wischen zu können, ohne dass Miro und Martin wieder in ihrer selbstgemachten Wasserpfütze hüpfen könnten. Während ich also schnell versuchte alles trocken zu
bekommen, hörte ich im Hintergrund wie Miro mit dem Kopf rhythmisch gegen den Kleiderschrank schlug und Martin gleichzeitig „Wir wünschen euch Frohe Weihnacht‘“ sang. Da ich hören konnte, dass
Miros Kopf klopfen, sanfter Natur war, wischte ich schnell fertig. Wäre zu dem Zeitpunkt jemand einfach zur Haustüre reingekommen, hätte er sich wohl gedacht, in einer Irrenanstalt gelandet zu
sein. Wir gaben aber zugegebenermaßen auch ein merkwürdiges Bild ab. Als ich die Handtücher ins Badezimmer brachte um sie aufzuhängen, hörte ich schon an Martins Gesang, dass ihn irgendetwas
nervös machte und gleichzeitig, dass sich Miro Klopfen verändert hatte, also ließ ich Tücher Tücher sein und rannte schnell ins Zimmer zu ihnen. Und das gerade noch rechtzeitig, denn Martin hatte
Miro bereits am Shirt-Rücken gepackt und zog ihn wütend in Richtung Zimmermitte. Durch das verrutschte Leibchen am Hals, bekam Miro nun schwer Luft. Als ich Martins Hand von ihm löste, kuschelte
sich Miro schnell bei mir ein, während Martin nun krampfhaft versuchte, mich nicht zu schlagen. Man sah ihm in solchen Momenten, die Verzweiflung und den inneren Kampf richtiggehend, an. Alles in
ihm schrie danach auf jemanden einschlagen zu wollen, während er selbst versuchte sich davon abzuhalten, da er niemanden verletzen wollte. Diesen Kampf gegen sich selbst verlor er allerdings, als
mich seine kleine Faust ziemlich schmerzhaft, zweimal hintereinander in die Seite traf. Nur um dann ganz verzweifelt zu schreien. Als er schließlich nicht mehr um sich schlug, konnte ich ihn
immerhin auch in meine Umarmung ziehen, auch wenn ich darauf achten musste, dass sich Miro und Martin dabei nicht zu nahe kamen. Zum Glück kam in diesem Moment der große Martin zusammen mit
Jozefina, vom Einkaufen zurück. Nachdem ich meine kleine Jozefina begrüßt und ihr einen dicken Kuss gegeben hatte, nahm mein Mann gleich Miro auf den Arm, um mich zu unterstützen. Es brauchte
keine Erklärungen mehr zwischen uns. Außerdem muss ich wohl ziemlich verzweifelt gewirkt haben in diesem Moment. Gemeinsam zählten wir bis 20 und zurück – zuerst auf Deutsch, dann Englisch,
Kroatisch, Spanisch und dann wieder auf Deutsch. Und ganz langsam legte sich die Situation wieder. Es dauerte etwas, bis ich schließlich herausfand was der Auslöser war. Miro wollte mit Martin
mitsingen und sang aber in einem Rhythmus als dieser – und das war etwas was für den kleinen Martin extrem schwer auszuhalten war. Generell war die Frustrationstoleranz bezogen auf den
Zwillingsbruder, noch geringer als sie es ohnehin schon im Alltag war.
Nachdem nun das Chaos beseitigt und wieder Ruhe eingekehrt war, wollten die Kinder unbedingt mit dem Basteln der Weihnachtsdeko beginnen – und ganz ehrlich, ich war richtig erleichtert. Denn das
bedeutete, dass sie zumindest für 15 Minuten am Tisch sitzen würden und das eine kurze Verschnaufpause für mich bedeutete. Während ich also schnell die Tischunterlage und die Weihnachtsbilder
holte, hielt mein Mann im Wohnzimmer die Stellung mit den Kindern. Er startete die Weihnachtsmusik und tanzte mit ihnen, immer darauf bedacht, alles im Blick zu haben, damit es nicht zu weiteren
Eskalationen kommen konnte.
So saßen wir also Anfang Oktober beisammen am Tisch, während wir alle zusammen Weihnachtsanhänger bemalten und Weihnachtslieder sangen.
Das mag für einige sehr verfrüht wirken, aber die Kinder, vor allem unser kleiner Martin, hatten wohl den „Weihnachts-Wahnsinn“ (so nannte es mein Mann immer) von mir geerbt. Wir liebten die
gerade die Vorweihnachtszeit, die sanften Lichter, die Lieder und das Gefühl von Weihnachten. Somit dauerte bei uns die Weihnachtszeit wohl deutlich länger als bei den meisten anderen Familien.
Tatsächlich schien dies alles auch unsere Jungs zu beruhigen und hatte somit auch einen großen positiven Effekt für den Rest von uns. Auch wenn uns unsere Freunde gerne ein bisschen auf den Arm
nahmen, wegen unseres „Weihnachtswahnsinns“ lebten wir in dieser Zeit immer richtig auf, vor allem da Miro und Martin in dieser Zeit, häufiger mit uns kuscheln wollten und für uns Eltern, war das
Balsam für unsere Seelen.
Vor dem Schlafengehen bat Jozefina darum, dass wir wieder gemeinsam Turnübungen machen sollten im Kinderzimmer. Während der große Martin beschloss, lieber aus sicherer Entfernung zuzusehen,
machten wir unsere Übungen. Jozefina liebte das, vor allem auch, wenn sie dann die Übungen vorzeigen durfte. Miro und Martin hatten auch Spaß daran und für sie war das eine ganz tolle
Imitationsübung, auch wenn diese nicht wie geplant gelang. Abschließend und da sich der Papa den Turnübungen entzogen hatte, durfte er als Pferd herhalten, während die Kinder geeint auf seinem
Rücken durch das Haus galoppierten.
Trotz dieser etwas überfordernden Situation am späten Nachmittag, (der ich definitiv hätte vorbeugen können), war es doch ein wunderschöner Tag mit den Kids. Und dennoch war ich dann wahnsinnig
erleichtert, als schließlich alle drei Kinder ruhig atmend einschliefen, während der große Martin und ich uns noch für eine halbe Stunde plaudernd, gemeinsam aufs Sofa setzten.
Auch wenn mir zusätzlicher Schlaf sicher gutgetan hätte, war diese ruhige Zeit abends essenziell für unsere Ehe. Denn ansonsten blieb uns keine Zeit um Gespräche zu führen, die nicht nur knappe
Anweisungen oder Erklärungen waren. Diese Zeit, die wir uns bewusst nahmen, schweißte uns als Team, als Paar und als Freunde zusammen.