Was bedeutet Autismus für Familien? Teil 4



Wir hatten also nun die Diagnose für Miro und Martin. Und jetzt? 

Wir hatten tatsächlich großes Glück, dass uns gleich beim Abschlussgespräch für beide Jungs Plätze für die Autismus Therapie nach TEACCH – Ansatz, für ein Jahr, angeboten wurden. Ein Glück, dass leider die wenigsten Familien haben. Diese Plätze sind sehr rar und normalerweise kostet die Autismus Therapie der Familie auf Dauer sehr viel Geld. So hatten wir zumindest für ein Jahr eine Sorge weniger. Noch dazu bekamen unsere Jungs im Kindergarten, über RETTET DAS KIND, einmal pro Woche, Frühförderung und Musiktherapie, zusätzlich zur täglichen Einzelförderung.

Ich wartete noch auf die schriftliche Diagnose. Als diese schließlich ankam und ich sie mir noch einmal in Ruhe durchlas, kam wieder Angst auf. „Frühkindlicher Autismus – bei beiden Kindern, im Vergleich zu gleichaltrigen Kindern doppelt so stark ausgeprägt. Es gibt 10 Stufen; Miro Stufe 10, Martin Stufe 8." Das musste ich erst einmal verdauen. 

Unsere Zwillinge bekamen außerdem jeweils einen Termin fürs EEG und vom Kinderarzt des Krankenhauses Melatonin verschrieben. Langsam aber doch pendelte sich also auch unser Schlaf ein. Das Einschlafen dauerte nur noch eineinhalb bis zwei Stunden und die Aggressivität in der Einschlafphase wurde auch weniger. Sie schliefen, dann immerhin zwei bis zweieinhalb Stunden pro Nacht und das am Stück. Auch wenn es viele nicht nachvollziehen können, für mich bedeutete die Glückseligkeit. Somit kam ich auch auf ca. eineinhalb Stunden pro Nacht. Ich weiß, viel zu wenig und nicht gesund, aber im Vergleich zu vorher, fühlte ich mich besser. Es kam seitens des Arztes auch zur Sprache retardiertes Melatonin zu probieren – aber da Miro und Martin selbst beim Aufwachen, nach ihren 2 Stunden Schlaf nicht einmal auf nachdosiertes Melatonin in irgendeiner Weise reagierten, wurde dieser Gedanke wieder verworfen.

Bei unseren Jungs stand nun das 1-stündige EEG inklusive Schlafsequenz an. Es sollte etwa eine Stunde dauern. Davor würden sie Melatonin bekommen. Zuerst war Miro dran, also zwei Tage vorher ab zum Testen und dann ins Krankenhaus. Er wollte die furchtbare Haube mit den vielen Kabeln natürlich nicht am Kopf behalten. Nass, glitschig, eng. Nein das ging so wirklich nicht. Ich schaukelte ihn in meinen Armen und sang ihm vor um ihn zu beruhigen. Schließlich zählten wir mehrsprachig bis Hundert und wieder zurück bis 0. So schlief er dann zum Glück ein. Das ganze EEG dauerte über drei Stunden. 


Und dann kam Martins Termin. Also wieder zuerst testen. Die Dame in der Teststraße hatte wenig Verständnis, sie sagte ihm, er solle den Mund aufmachen und sie ansehen. Martin verstand natürlich nicht was sie von ihm wollte. Ich erklärte ihr, dass er Autist sei. Sie solle ihm bitte einen kurzen Moment Zeit geben. Das tat sie nicht. Stattdessen sagte sie ihm nochmals, dass er sie ansehen soll. Woraufhin ich sie fragte, ob sie mir nicht zugehört hätte. Ihre Antwort war: „Naja, er wird es ja wenigstens schaffen mich anzusehen.“ Martin schrie die ganze Zeit über wie am Spieß. Natürlich hatten alle Menschen in der Teststraße unser Debakel mitbekommen. Aber statt merkwürdiger Blicke beim rausgehen, klatschte der Herr hinter uns in der Schlange Applaus und sagte zu Martin, dass er das ganz toll geschafft hätte -  und zwar ehrlich und aufrichtig. Viele Leute taten es ihm gleich. Ich muss sagen, dass ich unglaublich gerührt war. Und Martin? – der klatschte mit und hüpfte vor Freude, weil so viele Menschen klatschten. Danach machte ich einen großen Fehler – ich nahm Martin mit in die Apotheke, um sein Melatonin abzuholen. Draußen war es bereits dunkel und ziemlich kalt. Wir kamen in die Apotheke rein, grelles Licht, extreme Wärme – nach der Kälte draußen und natürlich sehr viele Menschen – eh klar, Winter halt. Nach etwa einer Minute in der Warteschlange wurde es ihm zu viel. Er fing an zu schreien und auf mich einzuschlagen. Ich setzte ihn ab und wollte ihm die Jacke ausziehen – da warf er sich auf den Boden und schrie so unglaublich laut und panisch. Ich legte mich neben ihn auf den Boden, so nah ich nur konnte und fing an leise zu singen. Langsam beruhigte er sich und hörte zumindest auf um sich zu treten und ließ sich auch von mir in den Arm nehmen. Ich setzte mich mit ihm auf dem Boden auf und sang ihm weiter vor, während er weinte. Zwischendurch hörte ich die Stimmen der Leute, auf die ich nicht reagierte, da mich in diesem Moment mein Martin dringender brauchte. „Na die jungen Leute, haben ihre Kinder gar nicht mehr im Griff.“ „Dem Gfrast gehört der Hinter versohlt, dann tät das schon funktionieren.“ Auch eine Apothekerin hörte ich an die Kunden gewandt sagen: „Sehen sie nicht, dass der Bub etwas hat?“ Und so kehrte langsam auch wieder Ruhe ein. Zu Hause fragte ich mich, wie ich nur so blöd sein konnte, nach der Überreizung beim Testen, noch mit ihm zur Apotheke zu gehen. 

Und schließlich kam das EEG und es war furchtbar. Für Martin waren diese sensorischen Reize noch schlimmer als für Miro und während er schrie und panisch kämpfte – und ich versuchte ihn zu beruhigen, raste mein Mama-Herz und weinte. Er tat mir so unglaublich leid. Das EEG brachte keine Neuigkeiten und so erleichtert ich war, ärgerte ich mich auch, meine lieben Jungs umsonst dieser Tortour ausgesetzt zu haben. 


Währenddessen ging meine verzweifelte Arbeitssuche weiter. Wie nur sollte ich einen passenden Job finden? Es war zum Verzweifeln. Bis mir eines Tages der Betreuer meiner AMS-Maßnahme schließlich den Tipp gab, doch Pflegegeld zu beantragen. Denn wenn ich Pflegestufe drei bekommen würde, könnte ich mich auch als pflegende Angehörige anstellen lassen. Bis dahin wusste ich gar nicht, dass dies auch für Eltern möglich war. (War es tatsächlich auch erst sehr kurz). 

Nachdem ich mir einige Erfahrungsberichte angehört und mich mit Ärzten und Pflegepersonal ausgetauscht hatte, schrumpfte meine Zuversicht. Denn in dem Alter sei es sehr schwer Pflegestufe 3 zu bekommen, vor allem bei nicht sichtbaren Beeinträchtigungen. Und vor allem auch, weil der Mehraufwand in der Nacht nicht gerechnet wird. Da man sein Kind ja sowieso nachts betreuen muss. Ähm ja – ich muss sagen meine Tochter die ein Jahr älter ist, ist nachts definitiv pflegeleichter – da sie nachts SCHLÄFT. 

Ich schickte den Antrag trotzdem weg. Gleichzeitig meldete ich meine Zwillinge beim Verein CHRONISCH KRANK an, der rechtlich berät bei solchen Dingen und auch beim Einspruch hilft.

Während wir also auf Antwort vom Finanzamt und Sozialamt, zwecks erhöhter Familienhilfe und ärztlicher Begutachtung und ebenso Antwort der PVA warteten, ging unser Alltag weiter. 

Mittlerweile hatte ich auch eine ganz liebe Psychologin für unsere Jozefina gefunden, die ihr helfen sollte, mehr auf sich selbst zu schauen, Vertrauen in sich zu finden und ihre Angst um die geliebten Brüder abzubauen. Und zu unser aller großem Glück, mochte Jozefina ihre Psychologin vom ersten Moment an. Obwohl wir schon den Sozialtarif für Jozefinas Therapien bekamen, war es gar nicht so einfach, das Geld an anderer Stelle einzusparen und wieder einmal war ich sehr froh über das Glück, dass die Therapien von Miro und Martin über das PSD liefen. Denn wir hätten selbst, gar nicht gewusst, wie wir die Therapien für alle drei stemmen sollen. Denn Autismus Therapien sind komplett selbst zu tragen ohne Zuschuss der Krankenkassen. 

Im Kindergarten ging es mit unserer Integrationspädagogin Bianca super weiter. Nach wie vor tauschten wir uns täglich über Martin und auch Miro aus. Was funktionierte gut, was können wir wie probieren, wie helfen wir am besten mit anstehenden Veränderungen. Jeden Tag nahm sie sich beim Abholen diese Zeit, denn wir zogen am gleichen Strang. Etwas was unglaublich wichtig ist, für die kindliche Entwicklung.

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