Was bedeutet Autismus für Familien? Teil 5



Wir bekamen unsere Termine für die ärztliche Begutachtung und Einstufung der Behinderung beim Sozialamt und für die ärztliche Begutachtung für die Pflegestufe. Nachdem ich uns von diversen Seiten geraten wurde, dringend einen Zeugen bei der ärztlichen Begutachtung für die Pflegestufe, dabei zu haben, überlegten wir uns, wen wir hinzuziehen sollten, wer auch gewillt wäre, sollten wir die Pflegestufen einklagen müssen, auch auszusagen. Schließlich bot sich die Integrationspädagogin von Martin, nach Absprache mit der Kindergartenleitung an, uns hierbei zu unterstützen und als Zeugin zu fungieren. Am liebsten hätte ich vor Freude geweint, denn sie war tatsächlich die beste Wahl, da sie unsere Buben ja im Kindergarten betreute und somit auch sehr gut wusste, um welchen Mehraufwand es sich handelte.

Nachdem nun diese Frage geklärt war, suchte ich im Internet nach dem im Brief angegeben Arzt, der die Begutachtung durchführen sollte. 

Einmal mehr ärgerte ich mich darüber, wie unpassend unser System funktioniert – denn der uns zugeteilte Arzt war spezialisiert auf Raucherentwöhnung. Man kann sich also vielleicht unseren Ärger darüber vorstellen. 

Unsere Termine rückten näher und damit wuchs natürlich auch wieder meine Nervosität.

Zuerst stand der Termin beim Sozialamt, zwecks erhöhter Familienbeihilfe und Behinderungsgrad an. Der Termin ging relativ schnell vorbei und sowohl Miro als auch Martin wurden nach ärztlicher Begutachtung und durchsehen aller Diagnosen mit 60% Behinderung eingestuft. Allerdings folgte dann für mich als Mutter noch eine Belehrung über die Nonverbalität meiner Zwillinge – denn diese würde daher rühren, dass ich nicht mit ihnen in meiner Muttersprache rede, sondern auf Deutsch. Hier sei angemerkt, ja ich spreche fließend kroatisch, aber ich bin in Österreich geboren und spreche akzentfrei und grammatikalisch richtig. Anfangs hatte ich tatsächlich mit meinen Kindern kroatisch gesprochen, bin dann aber komplett ins Deutsche gewechselt, als ich merkte wie wenig bei Miro und Martin ankam, da war es mir wichtiger, dass sie das wenige das sie verstehen auf Deutsch verstehen, immerhin leben wir ja in Österreich. – Ich ärgerte mich irrsinnig über diese Aussage, da sie jeder Logik entbehrte. Ich fragte am Ende noch nach, ob ich für die rückwirkende Familienbeihilfe einen eigenen Antrag stellen müsste. Nein das werde geprüft und ich würde dann benachrichtigt werden. (Erhöhte Familienbeihilfe kann 5 Jahre rückwirkend beantragt werden, wir bekamen die erhöhte Familienbeihilfe für eineinhalb Jahre rückwirkend zugesprochen, obwohl der Autismus unserer Jungs seit Geburt vorhanden war.)

Schließlich stand der Temin für die Pflegestufe bevor. Anwesend waren Miro und Martin, mein Mann – der die Jungs während des Gesprächs beaufsichtigte – die Integrationspädagogin, der Arzt und ich. Ich muss sagen, dass ich wirklich dankbar bin, dass unsere Bianca dabei war. Denn der Arzt hinterfragte jede meiner Aussagen kritisch und sie als Integrationspädagogin konnte ihm da auch gut den Unterschied im Aufwand, zu anderen gleichaltrigen Kindern erklären – denn ihr schenkte er definitiv mehr Glauben als mir. Ich nehme an, dass es überhaupt die allererste Begutachtung von Kindern für ihn war, denn er nahm an, dass es vollkommen selbstverständlich sei, dass die zuständige Pädagogin dabei ist. Ich übergab ihm auch mein Pflegetagebuch, wo ich unseren ganzen Tagesablauf akribisch genau eingetragen hatte und außerdem noch sämtliche Kopien von Diagnosen, Arztberichten und Entwicklungsberichten. Wir erklärten auch die Sicherheitsmaßnahmen im und um das Haus. Miro und Martin waren vom Besuch des Arztes äußerst irritiert und hielten meinen Mann während des Gesprächs sehr auf Trapp. Schreien, Hauen, Werfen waren ganz oben auf der Tagesordnung. Sie brauchten auch zwei Tage, bis sie den Vormittag verarbeitet hatten und wir wieder zu unser Routine zurückkehren konnten. Bei der Verabschiedung fragte ich noch, ob er uns ungefähr sagen könne, welche Pflegestufe uns zustehen würde, doch darauf bekam ich nur die Antwort: „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich muss mir alles noch einmal ganz genau ansehen und durchrechnen, aber wissen Sie, je kleiner die Kinder sind, desto schwieriger.“ Also hieß es für uns mal wieder warten.

Also gingen wir mal wieder unserem ganz normalen Rhythmus nach. Ich fuhr an drei Tagen pro Woche mit einem der Kinder zur Therapie und suchte für Miro und Martin noch nach freien Ergotherapie Plätzen, was sich als gar nicht so einfach erwies, denn abgesehen davon, dass Therapieplätze generell mit Wartezeit verbunden sind, war für mich die Voraussetzung, dass die Ergotherapeutin auch schon genügend Erfahrung mit autistischen Kindern hat. Dies schränkte die Suche wieder ein. Aber da wir es ja schon gewöhnt waren, zu warten und zu suchen, zermürbte es uns nicht mehr so sehr wie früher. 

Während wir also warteten, hatten Miro und Martin eines Tages eine außergewöhnliche Spielidee, die bei meinem Mann und mir unterschiedliche Reaktionen hervorriefen. Mein großer Martin und ich standen zusammen in der Küche und kochten und unterhielten uns, während die Kinder mit ihren Musikinstrumenten lärmten. Bis heute weiß ich nicht, wie unser kleiner Martin es geschafft hat, das Mehl das zwischen uns auf der Arbeitsplatte stand, zu klauen. Ich suchte gerade nach dem Mehl als mir klar wurde, dass die Musik verstummt und eine verdächtige Ruhe eingekehrt war. Plötzlich hörten wir Martins freudige Stimme: „juhuuuuu! Schnee! Es schneit!“ Ahnend dass es etwas war, dass nicht passieren hätte sollen, schauten wir ums Eck ins Kinderzimmer. Und da war sie, eine wunderschöne Schneelandschaft, bestehend aus griffigem Mehl, über den ganzen Boden, das Bett und die Jungs verteilt. Mittendrinnen Miro und Martin die mit ihren Socken über den Boden rutschten als würden sie eislaufen und nebenbei warfen sie mit ihren kleinen Händen das Mehl in die Luft, damit noch mehr Schnee vom Himmel rieselte. Mein großer Martin war entsetzt, denn er sah vorrangig die Arbeit, die mit dem sauber machen des Zimmers auf uns zukam und ich? Ich musste mich zusammenreißen ein ernstes Gesicht zu behalten, während ich erklärte, dass man mit Lebensmitteln nicht spielt. Am liebsten hätte ich sie freudestrahlend in die Arme genommen und gesagt wie stolz ich auf sie war, da dies das erste richtige Fantasiespiel der Beiden – vor allem im Team – war. Während wir das Zimmer säuberten, wurde dies auch meinem Mann bewusst und so verflog auch sein Ärger. Noch heute denke ich so gerne an ihre glücklichen Gesichter, während sie ihre eigene Schneelandschaft genossen. Und ich habe daraus gelernt, das Mehl doch sofort in den Küchenschrank zurück zu räumen. 

Schließlich kam auch endlich die Benachrichtigung über den jeweils zugesprochenen Pflegegrad an. Beide, Miro und Martin hatten Pflegestufe 3 bekommen. In dem Brief stand eigentlich nicht viel wesentliches drinnen; Pflegstufe, Stundenausmaß und wie viel Pflegegeld. Ich dachte mir damals, dass die eigentliche Aufschlüsselung der Begutachtung sicher noch folgen würde. Damit lag ich falsch, denn diese muss man selbst beantragen. Auch das wissen viele Familien nicht – inklusive uns damals und was ganz wichtig ist – Es steht euch zu! Denn damals freute ich mich irrsinnig über Pflegestufe 3, da uns ja gesagt wurde, wie schwer es sei diese mit so kleinen Kindern zu erreichen. Nachdem ich dann aber Einsicht genommen hatte, (nachdem unser Martin verstorben war,) war ich wirklich entsetzt wie wenig tatsächlich berücksichtigt worden war, obwohl es der begutachtende Arzt sogar in den Bericht geschrieben hatte. 

Hier kann ich euch aber den Tipp geben, vernetzt euch mit ÖZIV oder KOBV oder einem anderen Verein, der euch hierbei hilft und solche Dinge auch mit und für euch prüft. Sie helfen nämlich auch bei sämtlichen Antragstellungen. 


Für mich stand nun das Ansuchen für die Anstellung als pflegende Angehörige an.

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