Was bedeutet Autismus für Familien? Teil7


Die Sommerferien hatten begonnen und die Entschleunigung tat uns allen gut. 

Die ersten zwei Wochen waren allerdings ziemlich  anstrengend, da sich durch das Fehlen des Kindergartens, natürlich unser Tagesablauf veränderte. Da Miro und Martin aber immer feste Abläufe und Strukturen brauchen, gestaltet sich dieser Wechsel in die Ferien immer als etwas schwierig. Vor allem in der ersten Ferienwoche ist immer mit mehr Meltdowns zu rechnen. Durch die Veränderung und die damit einhergehende innere Unruhe steigen dann die Autoaggressivität und Aggressivität bei beiden, außerdem verändert sich das Schlafverhalten weiter ins Negative. Das Ganze beeinflusst dann natürlich auch unsere Jozefina, auch sie wird dann oft von der Unruhe der Zwillinge angesteckt und sie versucht dann auch immer ihre Bedürfnisse noch weiter hinten anzustellen, nur damit es den Brüdern besser geht. Ich selbst fühle mich dabei wie eine Seiltänzerin, immer darauf bedacht vorsichtig und gefühlvoll einen Schritt, nach dem anderen zu setzen und dabei die Bedürfnisse der Kinder zu entdecken, verstehen und ihnen zu helfen. Denn alle drei Kinder leiden in dieser Übergangszeit. Für mich, als Mama bedeutet dieser Ferienstart, also neue Strukturen und Abläufe für die Kinder zu gestalten, Rahmenbedingungen zu schaffen, die wirklich für alle passend sind und Geduld aufzubringen, wo schon lange das Limit erreicht ist. Wenn diese Übergangsphase vorbei ist und tatsächlich etwas Ruhe einkehrt – so man den Lärmpegel, in unserem Haus, als solche bezeichnen kann – kommen wir in den Ferien und unserer Pause und reinen Familienzeit an. Und je mehr innere Ruhe wir schaffen können, umso mehr schaffen wir auch neue Fähigkeiten zu erlernen, so auch die, des Wartens. 

Das Warten bis man an der Reihe ist, ist glaube ich für kein Kind leicht, für unsere beiden Jungs, Miro und Martin, schien es schier unmöglich. Es ist aber eine so wichtige Fähigkeit. Wir arbeiteten viel mit dem visuellen Timer, der zumindest bei Verabschiedungen bzw. beim Beenden von Tätigkeiten eine große Hilfe war. Nach etwas Zeit half er uns sogar, zu Warten, bei einigen Dingen. Aber das Warten bis man selbst an der Reihe ist, dabei dem Mitspieler nichts aus der Hand zu reißen oder ihn gar zu attackieren, das wollte nicht werden. Langsam war ich ratlos. Und dann kam mir irgendwann eine Idee, absolut NICHT pädagogisch wertvoll, aber zumindest ein neuer Ansatz. Ich erinnerte mich, dass wir früher ein Playstation hatten, zusammen mit interaktiven Bewegungsspielen und einer Kamera. Ich fragte meine kleine Schwester, ob sie diese im Moment benötigte und da dies nicht der Fall war, holte ich sie ab, bestellte die Spiele und die Schläger neu, brachte alles nach Hause und stellte das Spiel ein. Das Spiel heißt „Start the Party“ und besteht aus kleinen Kurzspielen, bei dem 1 bis 4 Spieler mitspielen können. Die Spieler sind bunte Bilderrahmen und die Kinder mussten für ihren jeweiligen Spieler noch ein Foto machen. Das heißt es wurde wunderbar angezeigt, wer wann an der Reihe war. Bei den Spielen selbst mussten sie zum Beispiel Haare schneiden, Insekten jagen, Bilder ausmalen usw. So eine Spielrunde dauert pro Spieler etwa eine Minute - also auch ein guter Rahmen fürs Warten üben, denn somit war die Zeit des Wartens nicht zu lange.  Es dauerte etwa eine viertel Stunde, bis sie es wirklich schafften so lange auszuhalten, bis sie selbst wieder an der Reihe waren. Jeden Tag durften sie insgesamt etwa eine halbe Stunde bis zu einer Stunde spielen und dabei das Warten erlernen und es klappte ganz toll. Mit Unterstützung des visuellen Timers gab es nach zwei Tagen, dann auch kein Problem mehr damit, die Spielkonsole abzuschalten. Das war unser Einstieg ins Warten lernen und es klappte tadellos und bereicherte damit wieder ein Stück mehr unser Familienleben. 

Wir machten auch viele Ausflüge, auch wenn sie immer an den gleichen Ort waren. Wir fuhren mit den Kindern mindestens einmal pro Woche in den Steppentierpark Pamhagen. Das war für sie gut auszuhalten und machte ihnen Freude. Miros größte Freude dabei, war der Weg selbst. Denn unser Miro liebt Windräder und weiß auch alles über sie. Auf dem Weg nach Pamhagen und wieder zurück war er also glückselig, weil er Unmengen von Windrädern, verschiedener Hersteller sehen konnte. Sogar vom Tierpark aus, kann man von manchen Stellen, einige Windräder in weiter Entfernung ausmachen. Er entdeckte sie natürlich lange vor uns. Unsere Jozefina liebt Tiere und somit wurde es auch für sie nie langweilig im Tierpark, auch heute noch, freut sie sich sehr, wenn wir einen Besuch dort ankündigen. Und unser Martin? Unser Martin fand die Tiere zwar interessant, aber anfassen schien für ihn ein Ding der Unmöglichkeit. Doch mit der Zeit änderte sich auch dieser Aspekt, denn gegen Ende des Sommers, war er derjenige die Tiere komplett ohne Scheu fütterte. Und zum Abschluss, gehörte dann natürlich noch ein Eis und danach noch ein Besuch am Spielplatz, den alle drei immer einforderten. Um die Ausflüge abwechslungsreicher zu gestalten, gingen wir immer mit unterschiedlichen Personen. Mal mit der Oma, mal mit dem Cousin, nur wir fünf als Familie oder aber auch mit Martins ehemaliger Integrationspädagogin, deren Mann und Tochter. 

So auch an diesem Tag im August. Es war ein wirklich angenehmer Ausflug, da alle Beteiligten auch wussten, worauf bei Miro und Martin zu achten war und auch wie man mit ihnen umgeht. Das ist für mich, als Mama, immer besonders schön. Es war sehr erholsam, denn immer schaute jemand anderer von uns, auf einen der Jungs – und als ich einen kurzen Moment, keinen der Beiden zum Aufpassen hatte, war ich sogar richtiggehend überfordert. Schließlich wollten die Zwei mit mir gehen. Wir kamen zu den kleinen Ziegen und Martin setzte sich auf die Erde, gegenüber der Ziege um sie zu füttern. Miro blieb an meiner Hand stehen, während ich mich Hinter Martin kniete und er dabei zwischen meinen Beinen saß. Allein schon wegen dieser Sicherheitsmaßnahme wurde ich von anderen Besuchern komisch angesehen und belächelt, Martin saß ja schließlich ganz brav. Als Mama weiß man aber meistens doch sehr genau was man wann und aus welchem Grund macht. Miros Klettverschluss am Schuh ging auf und er machte lautstark aufmerksam, dass irgendetwas an seinen Schuhen nicht passte. In der Sekunde, in der ich mich nur zu Miro umdrehte um ihm den Klettverschluss zu schließen, wagte Martin – wie so oft – einen Weglaufversuch. Martin sprang auf und rannte los. Da ich seine Weglauftendenz gut kenne und diese immerzu in meinem Bewusstsein präsent ist, reagierte ich schnell, hob Miro noch im Aufstehen hoch und rannte los. Nach nicht einmal 30 Metern konnte ich ihn so als Erste einholen und abfangen. Martin sah das Ganze gelassen, Miro hingegen, der den plötzlichen Wechsel aus Ruhezustand zum einfach hochgehoben werden und loslaufen, jedoch gar nicht nachvollziehen, es überforderte ihn. Somit fing er an zu schreien und gegen seinen Kopf zu schlagen. Ich fing an ihn zu „erden“, indem ich kurzen Druck auf seinen Körper ausübte. Zuerst den Kopf kurz mit beiden Händen von den Seiten drücken, dann die Schultern, Oberarme, Unterarme, Hände, Seiten, Oberschenkel, Kniehöhe, Unterschenkel und Knöchel – so beruhigte er sich schnell. Wieder drumherum Menschen, mit sehr wenig Ahnung und sehr viel Meinung, von abfälligen Blicken bis gehässigen Kommentaren, ist in solchen Momenten immer alles dabei. Auch Sätze wie, „Es muss ja einen Grund haben, dass das arme Kind versucht wegzulaufen, sicher, wird es nicht gut behandelt. Die kümmern sich sicher nicht ordentlich ums Kind, oder Schlimmeres.“ Ich habe gelernt, diese Menschen auszublenden und in solchen Momenten nur auf meine Kinder und deren Wohlergehen meinen Fokus zu legen. Denn für mich und besonders in solchen Situationen, der Überforderung, zählt das Wohl meiner Kinder millionenfach mehr, als alles was drumherum existiert. Denn meine Welt, mein Universum – sind meine Kinder.

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