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Was bedeutet Autismus für Familien_Teil12

 

 

...Nach dieser Nacht, die wie so oft schlaflos für mich war, starteten wir in unsere Morgenroutine und somit in den ersten Kindergartentag des neuen Schuljahres und mit neuen Integrationspädagoginnen. Mein Mann und ich waren schon darauf eingestellt, dass es wie jedes Jahr eine neue Eingewöhnungszeit für Martin geben würde. Denn auch wenn unser kleiner Martin den Kindergarten liebte, so war er doch jedes Jahr von der Umstellung überfordert. Meistens wurden Gegenstände in der Gruppe umgestellt, oder aber etwa an der Einrichtung geändert. Das bedeutete für ihn immer großen Stress und er brauchte seine Zeit um sich daran zu gewöhnen. Somit waren wir bereits darauf vorbereitet, dass es ein kurzer Tag werden würde.
Bevor wir zum Auto aufbrachen, trank ich meinen wohl achten oder neunten Kaffee an diesem Tag, wobei der ohnehin schon keine Wirkung mehr zeigt und stattdessen wahrscheinlich nur mehr, meine innere Unruhe verstärkte. Miro schaute sich noch seine Windräder an, Martin baute eine Straße im Kinderzimmer auf und Jozefina malte noch ein Bild für mich. Also entschloss ich mich, zum wahrscheinlich zehnten Mal, nochmal die Rucksäcke mit dem Ersatzgewand zu kontrollieren. Lange Hosen und lange Shirts, kurze Hosen und kurze Shirts, Socken, Unterwäsche, Turngewand, Hausschuhe und die Rucksackleinen, für Ausflüge, für Miro und Martin – alles war drinnen, wie auch schon bei den vorhergehenden Rucksack-Kontrollen.
Schließlich war es soweit. Ich sagte den Kindern, dass es gleich an der Zeit war in den Kindergarten zu fahren, stellte ihnen den visuellen Timer auf zwei Minuten und erklärte dazu, dass wenn die Zeit abgelaufen war, wir uns anziehen gehen würden. Die Uhr läutete und während Jozefina sich fertig machte, zog ich Martin seine Schuhe an. Als ich mich gerade unserem kleinen Miro die Schuhe anzog, nahm Martin dies zum Anlass um noch eine Runde Fangen zu spielen. Er rannte also lachend zurück in die Küche und um den Tisch. Als ich ihm nachkam sprang er auf die Küchenbank und startete seine zweite Runde. Mal wieder verfluchte ich innerlich, den großen Esstisch, der es mir erschwerte meinen kleinen Rabauken abzufangen. Martin war glückselig und liebte dieses Spiel, vor allem dann, wenn wir einen Zeitplan einzuhalten hatten. Nachdem ich ihn schlussendlich einfangen konnte, lachte er so herzlich, dass ich doch auch wieder schmunzeln musste. Nachdem wir endlich beim Auto ankamen, hob ich Miro in seinen Sitz und schnallte ihn an, während ich Martin, wie immer mit der anderen Hand festhielt. Nachdem dann endlich alle Kinder in ihren Autositzen saßen und Mama es ins Auto geschafft hatte, hieß es für mich, das Kindergarten-Autofahrt-Lied abzuspielen. Ich selbst hätte darauf vergessen und damit wahrscheinlich ein Weltuntergangs-Szenario heraufbeschwört – doch zum Glück, dachte meine Jozefina an das Lied, für ihre Brüder. Während die Kinder voller Inbrunst, möglichst laut mitsangen und dies auch von mir einforderten, parkte ich das Auto vor dem Kindergarten.
Ich atmete noch einmal tief durch und holte die Kinder wieder aus ihren Sitzen. Beim Kindergartentor, verlangte Miro auf den Arm genommen zu werden, damit er seine Windräder ansehen konnte. Nachdem auch der Punkt unserer Liste abgehakt war, betraten wir schließlich den Kindergarten. Nachdem wir nach kurzem Kampf, die Schuhe umgezogen und die Rucksäcke an ihren Platz gehängt hatten, wurden die Jungs nach kurzer Unterredung mit Martins I-Pädagogin übergeben und ausgemacht, dass geschaut wird, wie es für ihn funktioniert nach den Ferien.
Also noch Bussis und Umarmungen für Martin und Jozefina und weg waren sie. Und ich? Ich war zugegeben ziemlich überrascht und auch überfordert von der Tatsache, wie schnell Martin in Richtung Gruppe gelaufen war. Gleichzeitig war ich richtig stolz und freute mich unglaublich, während ich mit Miro zurück zum Auto ging, um mit ihm zur Therapie zu fahren.
Während Miros Therapie-Einheit schaute ich immer wieder verstohlen aufs Handy, damit rechnend, dass es jeden Moment läuten würde, so wie auch in den Jahren davor. Doch dem war nicht so. Schließlich brachte ich auch meinen kleinen Miro in den Kindergarten, wo ich noch erfuhr, wie viel Freude Martin doch hätte. Alle waren darüber sichtlich erstaunt. Also schlich ich mich wieder aus dem Kindergarten, um den Erfolg des Tages nicht doch noch zu beenden und machte mich darauf die liegen gebliebene Wäsche, der letzten Nacht, sowie die Hausarbeit in Rekordzeit zu erledigen um wieder pünktlich zum Abholen im Kindergarten zu sein.
Zu unser aller Überraschung, verlief der erste Tag, so wie auch die restliche Woche komplett problemlos und alle staunten nur darüber, wie unglaublich toll sich unsere Burschen, vor allem aber Martin, über den Sommer entwickelt hatten.
Im Laufe dieser Woche hatte ich dann auch Gelegenheit, Miros neue Integrationspädagogin kennenzulernen, eine unglaublich liebe, herzliche Frau, die eine innere Ruhe ausstrahlte und unser Miro hatte sie vom ersten Moment an, als neue Bezugsperson akzeptiert. Sie erzählte mir dann auch, dass sie eigentlich großen Respekt, vor dieser Aufgabe gehabt hatte und über den Sommer so viel, wie möglich zum Thema „Frühkindlicher Autismus“ gelesen hatte und dies ihre Sorgen aber nicht unbedingt verringert hätte. Sie war auch sehr überrascht darüber, dass Miro so anders war, als vieles was sie zu dem Thema gelesen hatte. Wir tauschten uns aus und ich erklärte ihr, welche Strategien Miro halfen, was ihn überforderte und was er wirklich brauchte um den Tag gut bewältigen zu können.
Wir Eltern waren unglaublich erleichtert darüber, wie gut es ihm Kinderarten klappte, wie schnell Miro und Martin eine Bindung zu ihren Pädagoginnen aufbauten. Ein riesen Stein fiel uns vom Herzen.
Da es im Kindergarten so gut klappte, kam es natürlich daheim, so wie es kommen musste – zu Hause drehten alle am Rad, wie man so schön sagt. Martin war plötzlich wieder sehr aggressiv und schrie sehr viel; und Miro weinte sehr viel und klebte quasi an mir. Und beide zusammen, machten wieder möglichst viele gefährliche Sachen, sobald ich ihnen für einen kurzen Moment, den Rücken zu kehrte. Auch wenn uns klar war, warum es momentan so schwierig war – nämlich, dass die Umstellung einfach trotzdem anstrengend für sie war und es eigentlich toll war, dass sie es im Kindergarten schafften und aushielten – machte diese Erklärung, die folgende Woche, auch nicht einfacher für uns alle.
Aber wie schon davor, brachten wir auch diese Zeit der Veränderung und Umstellung hinter uns. Unsere Nachmittage und Nächte waren geprägt von Musik, Entspannungsübungen, Phasen von Erdungsübungen, Papas Geschichten und Schlafentzug. Dennoch waren wir glücklich, glücklich darüber, dass unsere Sorgen, die wir uns den Sommer über gemacht hatten, unbegründet schienen und dass die positiven Entwicklungen der Beiden, so viel ausmachten.
Nun hieß es zu hoffen, dass es im Kindergarten so toll weiter laufen würde, wie in dieser ersten Woche und darauf zu bauen, dass die extreme Phase zu Hause, schnell vorübergehen würde, denn langsam aber doch, sah mein Körper aus wie eine Landkarte, da Martins Meltdowns zu dieser Zeit mit dem Werfen von Gegenständen und Schlägen einhergingen. Mit viel Übung und nach rund drei Tagen, schaffte Martin es schließlich, unser (lange Zeit geübtes) Umlenken der Aggressionen, wieder anzuwenden. Und so biss er wieder in seinen heiß geliebten Polster statt jemand anderen zu verletzen. Obwohl der Polster schon übersät war, mit winzig kleinen Löchern und ich ihm, exakt den gleichen (nur eben unversehrt) anbot, legte er seinen „lila Polster“, wie er ihn nannte, nicht mehr ab.
Martins in den Polster Beißen, verschaffte uns allen Erleichterung und eine kleine Verschnaufpause und somit auch etwas Zeit um mit den Geburtstagsvorbereitungen von Miros und Martins fünftem Geburtstag zu beginnen…

der geliebte lila Polster, der so viel Sicherheit in Martins Welt bracht

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