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TABU - Tod eines Kindes

Warum schreibe ich auf dem Blog von Martins Vermächtnis auch immer wieder über das Thema Trauer?

Bevor unser wunderschöner Martin starb, kannte ich niemanden der sein Kind verloren hatte. Damals wussten wir auch noch nicht, dass wir nicht nur unser Kind, sondern auch viele Freundschaften und Bekanntschaften zusammen mit unserem Sohn zu Grabe tragen würden.

In der Zeit vor dem Begräbnis waren noch ein paar wenige von ihnen da, doch auch dies änderte sich schnell. Die Meisten schafften nur eine SMS: "Mein Beileid", und dies sollte auch das Letzte sein, was wir bis jetzt von ihnen gehört bzw gelesen haben. In unseren dunkelsten Stunden, in der Zeit in der wir den meisten Rückhalt gebraucht hätten, wurde es plötzlich ganz still. Da waren Bekannte und sogar langjährige Freunde, die die Straßenseite wechselten und so taten als würden sie uns nicht sehen - generell wurde ein großer Bogen um uns gemacht, als hätten wir die Pest oder als wäre der Tod unseres Kindes ansteckend. Wenn jemand mit uns geredet hat, dann wurde das Thema Martin vermieden. Martins Name wurde zum Tabu. Als wäre das alles nie passiert, wenn man nur ja nicht darüber spricht. Das tut weh und verletzt zusätzlich sehr stark. Denn selbst wenn es nicht so sein sollte, fühlt sich für den Betroffenen an, als wollten alle drum herum unbedingt vergessen - einen kleinen, lebenslustigen, wunderbaren Buben vergessen - unseren kleinen Buben - unseren Martin. Und das fühlt sich falsch an, falsch und unfair.

Mir ist vollkommen klar, wie schwer es sein muss, dass man sich selbst hilflos fühlt und gar nicht weiß was man sagen oder tun soll - und das ist auch legitim. Aber genau das kann man auch sagen "ich weiß nicht was ich sagen soll, was ich tun kann, aber ich bin da". Denn ja es stimmt, es gibt wohl keine Worte die den Schmerz lindern können, aber zu wissen, dass man nicht alleine ist, macht einen großen Unterschied. Zu wissen, dass auch andere Menschen große Trauer in sich tragen und sich zusammen zu erinnern.

 

Denn die Trauer erstickt einen schier. Das gemeinsame Erinnern gibt Halt und verbindet.
Ich selbst war nie jemand, der gerne über die eigenen Gefühle gesprochen hat, ich war immer jemand, der alles mit sich alleine ausmacht. Ich war immer stark für andere, meine Gefühle standen hinten an. Anfangs war ich noch diejenige die die anderen in den Arm nahm und versichte Halt zu geben, ob des Verlusts meines kleinen Martins. Doch nach kurzer Zeit konnte ich nicht mehr stark sein, denn ich versuchte selbst zu überleben.
Die Trauer um ein Kind ist ein großes Tabu. Nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch bei direkt Betroffenen.
Ich selbst musste erst lernen,  über den Tod meines über alles geliebten Sohnes zu sprechen, über den damit einhergehenden Schmerz, die Trauer, die Wut, die Ohnmacht. Ich musste selbst erst lernen auf die Frage: "wie geht es dir?“, ehrlich zu antworten.
Der Tod eines Kindes ist ein Tabu. Und ja, es ist definitiv nicht so vorgesehen, dass Eltern ihre Kinder zu Grabe tragen müssen. Die Reihenfolge ist plötzlich komplett falsch und nichts macht mehr Sinn.
Auch wenn ihr keine Worte findet, seid ehrlich, seid da, nehmt sie in den Arm, lasst sie erzählen, erinnert euch gemeinsam. Wenn ihr das nicht könnt, dann seid so ehrlich und sagt das auch - findet keine Ausreden, sagt offen und ehrlich: "ich schaffe das nicht. Es tut mir leid."
Denn auch das ist ok. Aber bitte geht nicht wortlos.
Obwohl uns fast niemand aus der Zeit vor Martins Tod geblieben ist, hatten wir doch großes Glück, mit der Zeit ganz neue Menschen an unserer Seite haben zu dürfen. Solche die zu Freunden geworden sind, durch ihre Ehrlichkeit und vor allem auch weil sie einfach da sind. Selbst wenn wir manchmal stumm nebeneinander sitzen, weil keiner Worte findet, oder wir zusammen weinen und manchmal doch auch zusammen lachen. Freunde die unseren Schmerz mit uns zusammen aushalten. Es sind nicht mehr viele Menschen um uns herum, aber die die da sind, sind wahre Freunde, es sind jene Menschen, die unseren Martin durch das gemeinsame Erinnern und Erzählen und Fragen, lebendig halten.
Es gibt auch Leute, die der Meinung sind, wir sollten es dann Mal gut sein lassen mit der Trauer. Als ob die Trauer nach 10 Monaten einfach enden würde. Diese Trauer wird uns unser restliches Leben lang begleiten. Ich hoffe, dass irgendwann die glücklichen Momente überwiegen, doch die Trauer um unseren Martin wird unser Begleiter sein. Denn der Gedanke an den Verlust des eigenen Kindes ist so überwältigend, so allumfassend, dass ihn das menschliche Gehirn gar nicht zulassen kann, wenn man nicht in der Situation ist. Wenn man sich versucht vorzustellen, dass es das eigene Kind betrifft, wird man merken, dass das Gehirn abblockt, diesen Gedanken nicht zulässt, weil er zu schmerzhaft ist. Wir müssen damit leben.
Ein kleiner Trost, sind dann Tage wie heute, wenn wir das Grab unseres kleinen Martin besuchen und sehen, dass noch jemand bei ihm war, sich jemand die Zeit genommen hat, an seinem Grab zu verweilen und dass seine Freunde ihn nicht vergessen haben. Wenn wir sehen, dass eine neue Kugel an seinem Weihnachtsbaum hängt, eine neue Kerze brennt, jemand ihm ein kleines Geschenk zur Dekoration mitgebracht hat und vor allem, so wie heute eine selbst gestaltete Kerze mitgebracht hat, übersät mit Weihnachts - Stickern.
Der Gedanke dass er nicht vergessen wird, sondern in unseren Herzen weiterlebt, lässt uns weitermachen.
Ich schreibe viele Texte, einfach um die Gedanken in meinem Kopf zu sortieren, die aller wenigsten veröffentliche ich und auch nur jene, von denen ich der Meinung bin, dass sie nicht zu erschreckend sind. Ich habe auch lange gezögert, die wenigen Texte zu veröffentlichen. Doch ich habe mich entschlossen über meine Gefühle und den Tod meines Sohnes zu schreiben, um dieses Tabu wenigstens ein Stück weit zu brechen. Denn dieses Tabu betrifft nicht nur unsere Familie, sondern sehr viele. Nach Martins Tod haben wir einige Menschen kennen lernen dürfen, die das gleiche Schicksal zu tragen und zu bewältigen haben. Interessanterweise war es unser Miro der uns genau mit diesen Menschen zusammengebracht hat, ganz so als würde er die Verbindung spüren. Fast allen dieser Betroffenen erging es so wie uns. Deshalb schreibe ich über dieses Tabu, in der Hoffnung, dass es anderen Familien die zukünftig durch diese Hölle gehen müssen, nicht auch so ergeht, sondern dass sie umgeben sein werden von Liebe.

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