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Was bedeutet Autismus für uns als Familie? Teil13

Während meine kleinen Schätze, die Zeit im Kindergarten genossen, kümmerten wir uns um die Vorbereitungen für den Geburtstag von Miro und Martin. Wir bereiteten alles vor, damit unsere beiden Buben ein wunderschönes Geburtstagsfest hätten, gleichzeitig darauf bedachtet, bei den Vorbereitungen und der Einteilung des Geburtstagsbesuches darauf zu achten, dass die Überforderung für Miro und Martin nicht zu groß werden würde. Beide waren schon unglaublich aufgeregt und Martin fragte immer wieder nach der Torte. Er war so unglaublich aufgeregt und durch die Aufregung und Überforderung auch immer wieder sehr wütend. Also fingen wir an zu zählen, wie viele Tage es noch dauern würde. Was ihm wirklich half, war zu zählen, wie oft er nachts noch schlafen musste bis er endlich seine Torte bekommen sollte, denn das war für ihn das Wichtigste. Durch das Zählen von „Wie oft noch schlafen“ – gewann er an Sicherheit, denn nun war die Situation für ihn überschaubar, logisch und vorhersehbar. Nun kam er zwar gefühlt tausend Mal pro Tag, fragte nach seiner Torte und erklärte mir dann – ohne auf eine Antwort meinerseits zu warten – wie oft er noch schlafen müsste. Ich selbst war irgendwo gefangen zwischen Stolz, Liebe, und genervt sein – immer wieder ermahnte ich mich selbst, dass es für ihn wichtig war, diese Dinge zu wiederholen und ihn meine Genervtheit nicht spüren zu lassen.
Durch die Therapien der Kinder, unsere Termine und meine – leider miserable – Organisation, kam ich in Verzug mit der Geburtstagstorte für meine Buben und natürlich hatte ich ihnen eine ganz besondere Torte versprochen – ein Versprechen, welches ich natürlich nicht brechen durfte. Da mir klar wurde, dass ich es niemals schaffen würde, diese Torte noch vormittags fertig zu bekommen, hieß es für mich mal wieder, die Zeit nachts zu nutzen, meine kostbaren zwei Stunden Schlaf müsste ich also wieder streichen. Ich verfluchte mich selbst. Warum war ich so chaotisch, wenn es um meine eigenen Aufgaben ging, warum schob ich immer alles bis zum letzten Moment auf? So organisiert ich auch war, wenn es meine Kinder ging, mein eigenes Leben war das reinste Chaos. Egal wie sehr ich mich bemühte, ich schaffte es nie alle Aufgaben, die ich mir vorgenommen hatte zu bewältigen. Ich war müde, ausgelaugt und wütend. Doch es half nichts, da musste ich durch. Natürlich, wollten die Kinder an diesem Abend gefühlt gar nicht einschlafen und je länger das Einschlafen dauerte, desto nervöser, unruhiger und gereizter wurde ich – bis mir schließlich der Geduldsfaden riss und ich das Zimmer nach zwei Stunden verließ. Hinter mir ein brüllender Miro und ein schreiender und um sich schlagender Martin. Ich rief den großen Martin und sagte ihm, er müsste übernehmen. „Ich kann nicht mehr, ich halte das nicht aus.“ Und damit setzte ich mich draußen auf die Stufen und starrte den Himmel an, während mein Mann versuchte die Kinder zu beruhigen und es ihm aber nicht gelang, weil sie nach ihrer Mama brüllten. Während ich ihr Weinen draußen hörte, hielt ich es nicht mehr aus. Ich ließ meinen Tränen freien Lauf und ich hasste mich, ich hasste mich selbst in diesem Moment so unbeschreiblich viel. Ich hatte meinen Kindern versprochen, immer da zu sein, egal wie schwer es wäre, denn die Gesellschaft war grausam genug. Miro und Martin hatten sich ihr Leben so wie es war nicht ausgesucht und es war an uns als Eltern, sie auf diesem ohnehin schwierigem Weg zu begleiten und für sie da zu sein. Und ja durch unsere besonderen Lebensumstände, hatte ich mein eigenes Leben nicht nur zurückgestellt, sondern gänzlich aufgegeben, ich widmete mein ganzes Leben meiner Familie, voll und ganz. Es war meine Entscheidung gewesen, ob diese nun schlau, gesund oder sonst etwas war – ich hatte mich so entschieden und es galt diese Entscheidung auch zu tragen, denn eine andere Möglichkeit sah ich gar nicht. Ich stand auf, wischte mein Selbstmitleid beiseite und ging wieder zu meinen Schätzen. Ich entschuldigte mich bei meinen beiden Jungs. Mein kleiner Martin sah mich an und er spürte wohl, was in mir vorging, denn er umarmte mich ganz fest und fing an zu singen. „twinkle, twinkle, little star…“ Fast so als wollte er mir sagen, Mama es ist okay, du bist auch nur ein Mensch. Es war das erste Mal, dass er mich richtig tröstete, denn davor hatte es immer so gewirkt, als würden ihn meine Traurigkeit oder Tränen nicht berühren. Mein Herz schmolz sprichwörtlich dahin. Ich übernahm das Singen und schaukelte Miro und Martin auf meinen Beinen in den Schlaf. Ich saß dann noch eine ganze Zeit am Bett während die drei schliefen und beobachtete diese friedlichen wunderschönen Geschöpfe, die das Leben mir geschenkt hatte. Für mich war es vor allem an diesem Abend so faszinierend, was Kinder mit uns machten – ein Gedanke den sicher sehr viele Eltern kennen: „Es ist faszinierend, dass diejenigen die mir die meiste Kraft abverlangen und die meiste Energie kosten, gleichzeitig meine allergrößte Energiequelle sind.“
Während dem Singen hatte ich beschlossen, die Torte selbst, einfach zu gestalten, ohne großen Schnick-schnack, also wurde es eine einfache Schokotorte. Nachdem ich meine eigenen Ansprüche runtergeschraubt und die Böden fertig gemach hatte, begab ich mich ins Bett um noch etwas Ruhe vor dem Aufwachen der Jungs zu bekommen. Wie durch ein Wunder, schliefen sie in dieser Nacht länger und so konnte auch ich noch eine Stunde Schlaf finden. Am nächsten Tag, während ich die Torte in Form brachte, Fondant ausrollte und verzierte sprach ich mit meiner Mama über die Entwicklung von Miro und Martin. Denn diese bereitete mir weiterhin Kopfschmerzen.
Schließlich war er da, der große Tag – Miros und Martins 5. Geburtstag. Martin erklärte mir schon um Mitternacht, dass er nun Torte essen wollte, da er ja nicht mehr schlafen müsste bis zur Torte - eine Kleinigkeit die ich in meiner Planung nicht bedacht hatte und die zu großem Unverständnis auf Martins Seite führte. Da dies mein Fehler gewesen war, erklärte ich ihm, dass sie jetzt eine Minitorte bekommen und später wenn alle da waren, eine extra große. Ich holte zwei Muffins steckten Kerzen hinein und sangen Happy Birthday. Nachdem die Kerzen ausgepustet waren, war Martin wieder zufrieden uns so starteten wir mit unserem Alltag. Während die Beiden im Kindergarten ihren Geburtstag feierten, wurden zu Hause die letzten Vorbereitungen für ihr Geburtstagsfest getroffen. Beim Abholen wurde ganz stolz berichtet, wie toll sie ihre Geburtstagsfeier gemeistert und mitgemacht hätten, vor allem Martin.
Der Geburtstag der Beiden wurde ein wunderschöner Nachmittag, umgeben von Menschen die sie akzeptierten und liebten -genau so wie sie waren. Als dann endlich die Torte kam, war mein Martin glückselig. Miros Freude konnte ohnehin nicht mehr gesteigert werden, denn er hatte insgesamt drei Windräder bekommen und schwebte auf Wolke sieben. Es war das erste Mal, dass mein Martin es schaffte, das ganze Geburtstags-Lied abzuwarten bevor er die Kerzen auspustete. Er war so stolz sich selbst auf seiner Torte – in einem Feuerwehrauto zu finden, dass es nicht mal schlimm war, dass die Auto-Torte, doch recht windschief geworden war. Ich atmete erleichtert auf. Der Abend verlief dann überraschend ruhig und auch das ins Bett bringen, war angenehmer und leichter als normalerweise. Erklären konnten wir uns das nicht.
Der große Martin und ich betrachteten unsere Kinder liebevoll. Denn so schwierig es oft auch sein mochte und so anders unser Leben war, als wir geplant hatten, waren wir dennoch glücklich - glücklich diese bezaubernden Wesen unsere Kinder nennen zu dürfen.
Schließlich sprach ich meine Sorgen ob der Entwicklung der Kinder an. Denn während unser Martin sich von Tag zu Tag weiterentwickelte und sein Wortschatz immer weiter wuchs und seine Aggressionen weniger wurden, stagnierte Miros Entwicklung, vor allem im Bereich Sprachverständnis und Sprache. Sprachlich war er etwa auf dem Stand eines eineinhalb jährigen Kindes, auch ansonsten weit zurück. Einzig wenn es ums Tanzen oder um seine Windräder ging, blühte er auf. Für uns wurde immer deutlicher, dass Miros und Martins Leben wohl ganz unterschiedlich verlaufen würde, vor allem hinsichtlich Schule und Bildung. Der Gedanke stimmte uns unheimlich traurig. Wie sehr wir uns in Bezug auf unseren Miro täuschten und zu was er alles fähig war sollte uns erst im folgenden Jahr bewusst werden. Doch von diesem kleinen-großen Wunder, das wir uns nie zu erträumen gewagt hätten, waren wir noch weit entfernt. Wovon wir nicht weit entfernt waren, war eine unruhige Nacht, denn so ausgeglichen sie am Tag auch gewirkt hatten, so überfordert waren sie dennoch und diese Nachwehen durften wir in dieser sehr kurzen Nacht dann zusammen aushalten.

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